Das zweite Gesicht
Chiara ihm je m als das Du anbot, konnte er lange warten. Sie hatte nicht v o r, auf diese letzte Hürde, dieses letzte Stück Abstand zu verzichten. Er war ihr bereits weit näh e r gekommen, als ihr lieb war.
Masken re d ete auf sie ein, aber sie hörte kaum zu, läch e lte h off entlich an den ric h tigen Stell e n, nickte gelegentlich und gab sich größte Mühe, so unverbindlich wie m öglich zu sein, ohne i hn gänzlich vor den Kopf zu stoßen.
Er sprach ü ber Torben, wie schrecklich das alles sei: zum ersten Mal erwäh n te er auch den Vertrag über fünf Fil m e, den er m it ihm abgeschlossen hatte. So viele gute Stoffe, so viele vertane Chanc e n. Es schien, sagte er, dass seine Karriere als Fil m e m acher unter keinem guten Stern stünde: Auf jedes H och folge unweigerlich eine Katastrophe. Nun sei ihm auch noch sein größter m ännlicher Star abhanden gekommen.
Bei alle m , was er sagte, spürte sie kein einziges Mal echte Trauer, keine Spur wahrer Zuneigung für den Toten. Im m er ging es nur um ihn, um Ma s ken. Um seine Fil m e, seine Karriere, sein gottverdam m tes Pech. Er s p rach üb e r Torbens Ermordung, aber er m einte den Verlust, den der Tod des Schauspielers für seine geplanten Fil m e bedeutete.
»U m so m ehr«, sagte er schli e ßlich unverblü m t , »brauche ich ein neues Zugpferd.«
Sie benötigte einen Mo m ent, um von ihren eigenen Gedanken wieder zu seinen zurückzufinden; das W ort Zugpferd war genug, um sie wachzurütteln.
»Nein«, sagte sie kühl.
»Aber warum nicht? Ich ver s tehe das nicht. Andere würden sich die Finger nach einem solchen Angebot lecken. Ursi, zum Beispiel …«
»Ich bin nicht Ursi.«
»Gott bewahre, das sind Sie nicht, aber …«
»Ich will m i r alle Optionen offen halten.«
»Und was veranlasst Sie zu glauben, es kä m e tatsächlich eine bessere daher ? «
»Sie waren derjenige, der m i r ein m al gesagt hat, in diesem Geschäft sei es falsch, sich zu sehr auf ei n e Richtung festzulegen. Ich befolge nur Ihren Rat. Ihre Richtung ist auch eine Richtung.«
»Überlegen Sie es sich noch mal. Sagen Sie nic h t einfach nein. Vielleicht t u t es Ihnen hinterher Leid.«
Sie fragte sich, ob er das als Drohung m einte, kam aber dann zu dem Schluss, dass er nur unbesonnen daherredete.
Voll m oeller wandte sich an die versammelten Gäste und bat zu Tisc h . Chiara zä h lte fast vierzig Personen, Männer und Frauen in gleicher Anza h l, die an der langen Tafel Platz nahmen. W ährend die einzelnen Gänge serviert wurden und sie von allem sehr sparsam aß, üb e rlegte sie, ob es vielleicht doch eine gute Idee wäre, Maskens Angebot in Erwägung zu ziehen. So, wie sie sich ihm gegenüber im Augenblick ver h ielt, würde sie nie m als m ehr aus ihm herausbekom m en. Wenn er s i e aber als eine Verbündete betrachtete, als eine Freundin, mochte das anders aussehen.
Nach d e m Essen ließen sich die Gäste auf den Sofas nieder, rauchten, tranken, ka m en einander m erklich näher. Ursi knutschte m it dem Maler, der bereits eine Hand unter ihrem Kleid hatte.
Jula war sicher oft hier g e wesen. Ihr hatte das bestim m t gefallen.
Ein junger Mann, eigentlich ein wenig zu zackig für ihren Ge s c h m ack, aber zweifellos attraktiv und offenbar der Sohn eines U f a-Produzenten, m achte Chiara eindeutige Offerten, und weil sie spürte, dass Masken sie von einer anderen Chaiselongue aus beobachtete, ging sie
darauf ei n . Es war ein Spiel, ein bizarres Gesellsc h aftsspiel, bei dem m an sich nic h t an der Pferderennbahn oder auf d e m Sportplatz, sondern in Voll m oelle r s Kissen t r a f . Je länger sie hier war, desto weniger unangenehm oder anstößig erschien es ihr. S i e ließ zu, dass der Junge sie küsste, und vielleicht hätte sie sich auf m ehr ein g ela ss en, w ä re da nicht die Gewissheit gewesen, dass alle anderen dabei zuschauten.
Als hätte der junge Mann ihre Gedanken gelesen, schlug er vor, in eines von Voll m oellers Gästezim m ern zu gehen. Das sei durchaus üblich, nicht jeder sei ein F reund von Sex in der Öf f entlichk e it. Sie ü b e r legte ku r z, s ah, dass Ursi s p litt er nackt und m it gespreizten B e inen über dem Maler auf dem Sofa stand, und sagte ja.
Sie verließen ge m einsam den Bankettsaal, aber als der Junge sie eine Treppe hinaufführen wollte u n d ihr klar wurde, w i e gut er s i ch h i er aus k annte, d a ss er läng s t eingeführtes Mitglied dieser Gruppe war, sie selbst aber nur williges Op f er,
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