Das zweite Gesicht
blieb sie stehen. » W as ist?«, fragte er.
»Ich hab’s m i r anders überlegt.«
Er sah sie an, runzelte die Stirn, versuchte aber nicht, sie zu überreden. Das m o c hte ein Zeichen von Anstand sein, obwohl sie eher ver m utete, dass er keine Zeit m it ihr verschwenden und sein Glück lieber rasch bei einer anderen versuchen wollte.
Sie sah ihm nach, als er zurück in den Saal eilte, und entsc h ied, erst ein m al frische Luft zu sch n a p pen; s i e schloss nicht aus, dass sie später wieder hineingehen würde. Noch hatte sie n i cht ei n e Frage gestellt, n i chts über Torben erfahren; andererseits m usste sie sich eingestehen, dass sie sich vielleic h t etwas vorgemacht hatte.
Du brauchst einen Mann, hatte Ur s i m it ih r em Tale n t , keine Plattitüde auszulassen, gesagt, und m öglicherweise
hatte sie Recht. Chiara h a tte einiges erreicht, einen gewissen Bekanntheitsgrad, ein gefülltes Bankkonto, die Eintrittskarte zur bes s eren Gesellschaft – aber nichts davon nutzte sie wirklich, nichts davon brachte sie weiter.
»Sie sehen besorgt aus.«
Chiara war kaum ins Freie getreten, als die Stimme sie aus ihren Gedanken riss. Sie fuhr herum und musste wider W illen läch e l n. »Henri e t te!«
Die Kolu m n istin kam auf ihren k u rz e n Beinen auf sie zu, und Chiara war überrascht, wie klein sie war – Henriette reic h t e i h r gerade m al bis zur Schulter. Sie trug einen langen schwarzen Mantel und einen Hut, der große Ähnlichkeit m it einem Helm hatte, sehr m odisch, aber nur in Maßen kleidsa m . In ein e r Hand hielt sie einen Block m it f estgestec k tem Bleisti f t, in der anderen den unver m eidlichen Zigarillo.
Sie begrüßten einander herzli c h. Chiara freute sich nicht nur aus Höflichkeit, sie war tatsächlich froh, die Kolu m nistin zu sehen.
» W as m acht Ihr Buc h ?«, fragte sie.
»Oh, es geht langsa m e r, als ich gehofft hatte, aber so ganz all m ählich … na ja, es nim m t Gestalt an.«
» W issen Sie schon, wann es erscheinen wird ? «
»In einem Jahr, vielleicht.«
»So lange noch ? «
Henriette z o g an ihrem Zigar i llo und sah Chiara auf eine Weise durch den Rauch hindurch an, die beinahe etwas Mysteriöses hatte. » W issen Sie, ich bin da auf ein paar Dinge gestoßen, m it denen ich nicht gerechnet hatte.«
»Ach ja? Was für Dinge ? «
»Ich dachte, ich hätte alle Fakten beisam m en, nachdem ich m it Jula und Ihnen gespr o chen hatte. Aber nach und
nach haben m i r auch noch e i n paar andere Leute etwas erzählt … dies und das, Sie wissen schon.«
Chiara wu s ste n i chts, nickte ab e r. Sie h a tte m it Jula abgeschlossen, wenigstens redete sie sich das ein, und welche schmutzigen Geschic h ten Henriette a uch im m er herausgefunden haben mocht e , sie berührten sie nicht m ehr.
»Sie sind zum ersten Mal hier, oder ? «, fragte die Kolu m nistin, Chiara lachte ein wenig nervös. »Lese ich die Antwort darauf m orgen in der Zeitung ? «
»Bestim m t nicht. Mein Wort darauf.«
Chiara hatte keine Ahnung, wie viel Henriettes W ort wert war, a b er etwas an dieser klei n en, stäm m i gen Person flößte ihr Vertrauen ein.
»Sie wissen, was da oben abläuft ? «
»Jeder weiß das. Ich bin nicht die einzige Reporterin hier. Schauen Sie sich doch u m .«
Chiara folgte ihrem Blick über den Platz hin w eg. Der Fotograf war fort, aber in geparkten Auto m obilen saßen einzelne Gestalten, hier und da stieg Zigarettenrauch aus offenen W a gentüren und Fenstern.
»O Gott«, sagte s i e u nd m usste gegen ih r en W illen kichern. Die Situation h atte etwas Absurdes. S i e wurden überwacht wie Sc hw erverbrec h er bei k o nspirativen Treffen.
» W ollen wir ein Stück gehen ? « H enriette m achte eine einladende Geste in Richtung Bürgersteig.
Langsam schlenderten die b e iden Frauen den Gehweg entlang, von einem L i chtkreis der Straßenlaternen zum nächsten. Ein W i ndstoß ließ Pap i erfetzen über das Pflaster tau m eln.
»Darf ich ehrlich sein?«, f r agte H e nri e tte, oh n e Chiara anzusehen.
»Sicher.«
»Sie haben sich verändert, seit Sie in Berlin lebe n .« Chiara dachte einen Augenblick lang nach. »Das passiert
zwangsläufig, oder ? «
»Sie m einen, durch den Erfolg? Meinen Glückwunsch, übrigens – als ich Ihnen im Romanischen C afé gesagt habe, Masken m ache vielleicht eine Diva aus Ihnen, war m i r nicht klar, wie schnell das gehen würde.«
»Bin ich das denn – eine Diva? Ich w eiß nicht …«
»Oft sind es gar
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