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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ch, dass ihr V a ter im m er so etwas behauptet hatte. Sie hatte es als Gerede abgetan, als Suche nach Schuldigen, wenn m an die eigene Schuld nicht akzeptieren will. Da waren Leute, hatte er gesagt, die einen schlechten Einfluss auf dei n e Schwester h atten. Sie haben sie verdorben. Haben ihr das Blaue vom H i mmel versprochen und ihr falsche Hoffnungen ge m acht.
    Aber die H offnungen waren nicht falsch ge w esen. Jula hatte alles erreicht, was sie sich von Berlin erhofft hatte. Deshalb hatte Chiara auch den anderen Dingen, die ihr Vater gesagt hatte, keine Bedeutung zuge m essen.
    » W as für Leute ? «, fragte sie.
    Elohim beugte sich vor, über den Tisch zu ihr. » W as wissen Sie ü ber Theoso p hie?«
    Das W ort hallte wie eine Alarmglocke in Chiar a s Schädel. Einen Augenblick s t arrte sie die Diva an, ohne einen Ton zu sagen.
    Elohim deu t ete ihre Schweigen falsch. »Dann w i ssen Sie  Bescheid ? «
    »Nein«, beeilte sich Chiara m it einem Kopfschütteln zu erwidern. »Nein, es ist nur … ich bin schon ein m al danach gefragt worden. Vor zwei Tagen erst.«
    »Von w e m ? «
    »Erzähle ich Ihnen vielleicht später. Jetzt sind Sie dran.« Misstrauen war in Elohims Blick aufgeflammt, aber sie stellte ihre Bedenken zurück und sagte: »Das Wort Theosophie kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Gottesweisheit. Manche sehen in den Theosophen so etwas wie eine Sekte, aber ich würde es eher eine Bewegung nennen. Ihre Anhänger verstehen sich selbst als eine Art Philosophen, nur dass sie nicht den Gesetzen der Logik und des Verstandes folgen, sondern die Erkenntnis im Übernatürlichen suchen … in der Meditation, der Askese und in allerlei Zuständen der Bewusstseinserweiterung.« Ein flattriges Lächeln huschte über Elohims Gesicht. »Können Sie mir folgen?«
    » W arum kennen Sie sich m it diesen Dingen aus ? «
    »Der Okkultis m us i s t heutz u ta g e weit v e rbreit e t . Seancen und Geisterbeschwörungen und …«
    Chiara unterbrach sie mit einem W i nk. »Ich weiß, was
    Sie m einen.«
    »Sie haben’s selbst ausprobie r t, w a s? Kein W u nder, in Maskens U m feld ist so was wohl kaum zu ver m eiden. Aber lassen Sie m i ch weiterer z ählen – und seien Sie so gut und behalten das Lokal im Auge. Männer haben hier keinen Zut r itt, d as h e ißt, wir s i nd hier we n i g stens v o r Masken und ein paar der anderen in Sicherheit.«
    » W ollten Sie deshalb hi erher kommen?«
    »Ja. Manch m al ist es von Vorteil, an den richtigen Plätzen aus und ein zu gehen.« Sie reckte ihren Hals und m assierte sich den Nacken, legte den Kopf schräg und ließ ihre W i rbelsäule knacken. »Die Theosophen, also … Sie berufen sich vor allem auf ur a lte Überlieferungen, hauptsächlich aus Indien und Tibet. Einige von ihnen, die Anführer, behaupten, in ständigem Kontakt zu gehei m en  Meistern zu stehen, den Mahat m as, und diese wiederum teilen ihnen ihre Lehren und ihre Weisheit m it. In der Regel ist das Ganze eine friedliche Angelegenheit, ein wenig versponnen, aber weit weniger bedrohlich oder aggressiv als viele der anderen neuen Bewegungen, die zurzeit entstehen. Die T heo s ophen beschäftigen sich m i t Yoga und allerlei Ate m techniken, um in den Genuss höherer W ahrheiten zu kommen, und die m eisten von ihnen schaden sich selbst nicht m ehr, als dass sie von den ganzen Verrenkungen Muskelkater beko mm en.« Sie lächelte, w u rde aber gleich w i eder ernst. »Das zu m i ndest ist die Hauptrichtung, aber wie bei all diesen Bewegungen gibt es auch hier Splittergruppen und Zirkel, die sich vom Kern abspalten und eigene Ziele verfolgen. Die Theosophische Gesellschaft, so eine Art Hauptabteilung der Bewegung, wurde vor knapp fünfzig Jahren in London gegründet, von einer Gräfin Helena Blavatsky. S i e schrieb einige Bücher, von denen sie behauptete, indische Groß m eister hätten sie ihr per Gedankenkraft diktiert – das bekannteste ist Die ents c hlei e rte Isis. Mal davon gehört ? «
    Chiara schüttelte den K opf. Sie vermutete jedoch, dass sie es in Maskens Bibliothek hätte finden können.
    »Die Blavatsky ist 1891 ges t orbe n . Ihre Nac h folgerin wurde eine engli s che Fe m i nistin, Annie Besant, die die Loge seit etwa zwanzig Jahren führt. Kurz vorher war noch ein anderer zu den Theosophen gestoßen, ein kroatischer Privatlehrer, der in W i en auf die Theosophen traf und um die Jahrhundertwende ihr Generalsekretär wurde. Sein N a m e ist Rudolf Steiner.«
    »Ich habe

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