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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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m al weiß-rot gestreift gewesen, doch die Sonne hatte das Rot ausgebleicht und der allgegenwärtige St aub das Weiß in ein hässliches Braun verwandelt. Am Eingang hing ein handge m altes Schild:
    Filme – immer die neuesten Attraktionen.
    Darunter k l ebten Überre s t e einer Reihe einzel ne r Holzbuchstaben. TAKEL stand da, was irgendwann m al Spektakel geheißen haben m ochte. Abget ak elt wäre passend, dachte sie, aber auch das konnte sie nicht auf m untern.
    Sie trat unter einen Franse n baldac h in, der n u r unzureichend Schutz vor dem Regen bot.
    »Hallo ? «, rief sie ins Innere. Die Plane war offen, aber ein Stück weit dahinter befand sich eine zweite Zeltwand, hint e r der v e r m utlich der eigentlic h e Vor f ührraum lag.
    Irgendwo schepperte etwas Metallisches, Filmdosen vielleic h t .
    »Hallo ? «, fragte sie noch einmal, und erhielt ein freundliches »’n Abend« zur Antwort. Ein alter Mann trat
    hinter der Zeltwand hervor. »Hab die Nachricht bekommen. Sie sind wegen der Vorführung hier, oder ? «
    War das nicht jeder, der ein Fil m zelt betrat? Sie nickte und betrachtete den Mann. Er war sehr alt und um einiges kleiner als s i e. Er hatte win z ige grüne Augen, fast wie die einer Katze. W i e Elohim an ihn geraten war und anneh m en k onnte, das kostbare Filmmaterial sei bei ihm in sicheren Händen, war Chiara ein Rätsel.
    »Kom m en Sie rein«, sagte der Mann und ging voran.
    »Ist sonst nie m and hier?«
    »Nur ich. Einer m uss den Streifen ja vorführen, oder ? «
    »Frau von Fürstenberg wollte eige n tlich auch k o m m en.«
    »Ist sie aber nicht. Hat viel zu tun, stand auf dem Zettel, den sie m i r geschickt hat. Sie dreht gerade drüben in Te m pelhof.«
    Er blieb stehen und wandte sich zu ihr u m . »Ist sie nicht wunderschön ? «
    »Elohi m ? « Chiara nickte unbehaglich.
    »Hab wenig Gutes in meinem Leb e n zustande gebracht, aber Elli hab ich ganz ordentlich hinbekommen.«
    Sie starrte ihn an. »Oh, dann sind Sie …«
    »Ihr Herr P apa! Hat sie vergessen zu erwähnen, was?« Sein leises L achen klang wie das Sc h narren ein e r Grille.
    Das m achte die Angelegenheit noch rätselhafter. W eshalb f ristete Elohi m s Vater sein Dasein auf diesem heruntergekom m enen Rum m elp l atz, während sie sel b st eine Villa bewohnte? Chiara verdrängte ihre S cheu und fragte ihn danach.
    »Ich hab schon Fil m e vorgeführt, als alle noch dachten, die Pferde auf der Leinwand rennen sie gleich über den Haufen.« Er lachte leise, aber es klang w eh m ütig.
    »D a m als sind wir rumgezogen, erst noch m it anderen  Sachen, ’ner Schießbude und so, aber als dann die Fil m erei losging, bin ich gleich auf den Zug aufgesprungen. Ist schon ’n W eilchen her, war noch im letzten Jahrhundert. D a sind Sie gerade aus dem Ei geschlüpft, junge Da m e. Mei n e Elli war zu der Zeit schon ein hübsc h es Ding. Elli Fürst hat sie da m als noch geheißen, w i e ihre Groß m utter. Hab ihr aber nicht ü b el genommen, dass sie sich ’nen anderen N a m en ausgedacht hat.« Er deutete auf die leeren Holzbänke, die im Dunkel des Vorführrau m s eng hintereinander standen.
    »So, nun setzen S i e sich mal hin.« Mit der  Taschenla m pe wies er ihr d e n W eg zwischen den Reihen.
    »Ach; ich wollt ja noch erzä h len, w a rum ich ni c ht in Saus und Braus im Grunewald lebe.« Er stieß ein krächzendes Kichern a u s. »Ich werd Fil m e vorführen, bis ich tot u m f alle, d a s is m al sicher. W as soll ich de nn in Ellis Vill a ? Füße hochlegen u nd nichts t u n? Nee, lass m al. Das is nix für den alten Filmfürst. So ham sie m i ch früher genannt. › D a kom m t der Fil m fürst!‹, ham die Kinder gerufen, wenn unsere Wagen in d i e Sta d t ka m en. ›Der Film f ürst i s t da!‹.«
    Chiara nahm in einer der vorderen Reihen Platz. Sie f ühlte sich s chrec k lich u ngeschüt z t , so all e in i n m itten des Rau m es und ohne Rückenlehne. Der hintere Teil des Zeltes war so finster, dass sie die letzten Bänke nicht m ehr sah.
    »Na, dann woll’n wir m al«, sagte der alte Mann und tauchte in die Dunkelheit. » S chöne Bilder sind das nicht.«
    Chiara spürte einen Kloß im Hals, nickte und wandte sich der Leinwand zu. Sie bestand aus einem gespannten weißen Tuch, wellig g e worden, weil es an den Rändern all m ählich ausriss, und nicht viel größer als ein gewöhnlicher Kleiderschrank. Chiara fragte sich, welche Art von Fil m en Eloh i ms Vater für gewöhnlich vorführte –
    noch im

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