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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erschrockener Laut kam über ihre L i ppen. Kein Schnitt, d a chte sie noch einmal, ehe ihr Geist m it einem Mal wie le e r ge f egt war.
    Jakob ging in Flam m en auf.
    Eine m eterhohe Feuerlohe schoss aus seinem offenen Rachen wie ein sichtbar ge w ordener S c hrei. Die Flüssigkeit musste Öl oder Ben z in gewesen sein. Flammen verwandelten seinen S chädel von einer Sekunde zur nächsten in eine Feuerkugel. Die Diener ließen ihn los, tau m elten erschrocken zur ück ; e i ne r s t ü r z t e d i e Altartreppe hinunter, seine K l eidung hatte Feuer gefangen.
    Kein Trick, soweit Chiara das beurteilen konnte. Und noch immer kein Schnitt.
    Jakob brannte jetzt am ga n zen Leib. Schwarzer Rauch stieg auf, verdec k te d en Altar u nd die s c h reckliche Hohepriesterin. Es war nicht zu erkennen, ob sie überhaupt noch dort stand.
    Jakob war irgendwie auf die Beine gekom m e n. Sein Kopf war nicht m ehr z u sehen, sein nackter Oberkörper ein vager U m riss inmitten der Fl ammen. Er stolperte einige Schritte, schlug um sich, bis er endlich zusam m enb r ach.
    Der Rauch verhüllte die U m gebung, dann auch das Licht der Scheinwerfer. Die Menschen am Fuß der S t ufen waren längst nicht m ehr zu sehen. Der brennende Mann war plöt z lich n ur noch ei n heller Fleck in m itt e n völlig e r Schwärze, wie ein S t ern, der am Nachthim m el ausbrennt.
    Die K a m era lief weiter. Eine halbe Minute, eine Minute lang. Vielleicht noch länger. Dann rückte die Finsternis all m ählich von allen Seiten auf den Glutpunkt zu.
    Finsternis füllte die Leinwand – um einen Herzschlag später von Helligkeit g eflutet zu werden. In das Rattern des Projektors m i schte sich ein rhyth m isches Flapp-flapp, als der Filmstreifen an sein Ende g e langte und bei jeder Drehung der Rolle an Metall schlug.
    Chiara saß da wie erstarrt.
    Jakob hatte gebrannt. Das war kein Trick gewesen. Deshalb war Elohim so perplex gewesen, als Chiara ihn erwähnt hatte.
    Jakob war verbrannt, vor fast drei Jahren. Jula h a tte i h n in Brand g eset z t.
    Es war albern. Lächerlich. Es m usste eine Täuschung sein, eine geschickte Manipulation, die Masken aus dem Hut gezogen hatte wie ein Bühnen m agier das weiße Kaninchen. Nie m and verbran n te f ür einen Film echte Menschen. Nicht ein m al Felix Masken.
    Aber für Medusa war m ehr als nur ein Mensch gestorben. Die Szene m uss t e der Beginn des Feuers gewesen sein, das die Kul i sse in Brand gesetzt und Dutzende Männer und Frauen das Leben gekostet hatte.
    Jakob hatte gebrannt, ohne jeden Zweifel. Er war verbrannt.

Aber sie hatte doch mit ihm gesprochen! Sie war mit ihm ins Scheunenviertel gefahren, und sie hatte ihm an jenem letzten Abend angeboten, mit ins Hotelzimmer zu kommen. Sie verwechselte das, was sie damals dazu getrieben hatte, nicht mit Verliebtheit – sie hatte ihn gemocht, sie war einsam gewesen, und eines wusste sie mit absoluter Klarheit: Es war derselbe Mann gewesen wie der auf der Leinwand.
    Das Rattern des Projektors brach ab. Erneute Dunkelheit, als wäre der Rauch aus dem Filmbild in die Wirklichkeit geweht.
    Und wenn es eine Verschwörung war? Elohim gehörte wo m öglich dazu. Dann waren d i es vielleicht gar keine echten Aufnah m en aus Medusa. Natürlich, sie waren erst viel später entstanden, nach Jakobs Verschwinden.
    Aber Jula … Du hast sie g ese h en, aufgebahrt im Leichenschauhaus. Das war sicher kein Trick gewesen. Du hast ihre Hand berührt.
    Es lief auf eine von zwei Möglichkeiten hinaus: Entweder war Jula von den Toten auferstanden, und diese Bilder waren erst kürzlich gedreht worden; oder Jakob musste ein Geist gewe s en sein, als Chiara ihm begegn e t war.
    Beides war grotesk.
    W i eder das Rascheln auf den Bänken ganz hinten. Ch i ara sprang auf.
    Vorhin, beim Schein des P r ojektorlichts, hätte sie vielleicht erkennen können, wer dort hinten saß. Jetzt war es zu dunkel.
    »Herr Fürst ? « Keine Antwort.
    »Sind Sie das, Herr Fürst ? «
    Etwas bewegte sich am Eingang, vor diesem schwachen Rechteck, das ihre Augen, die noch im m e r an das Fil m licht gewöhnt waren, kaum aus m achen konnten. Da war etwas gewesen, ganz sic h er. Der U m riss eines Menschen.
    Jet z t war er f ort.
    »Herr Fürst!« Ihre Stim m e klang hoch und peitschend. Metall schepperte. Jemand b e trat den Vorführrau m , und
    eine Taschenla m pe fl a m m t e auf.
    »Alles in Ordnung ? «, fragte der alte Mann.
    Sie erkannte ihn an seiner Stim m e. Sehen konnte sie ihn nicht. »Sie

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