Das zweite Gesicht
er hier wohl höchstpersönlich sauber m achen. Sich vorzustellen, w i e er m it ei n em Tuch um die Gläser wischte, war g r otesk. Sie schlug eine Hand vor den Mund, aber schon einen Herzschlag später wusste sie nicht m ehr, ob sie lachen oder schreien wollte.
Mit häm m e rndem Puls und weichen Knien näherte sie sich dem Regal. Es befand sich an der W and, die der niedrigen T ür genau gegenüb e rlag. Die übrigen W ände waren leer. Auch sonst gab es keine Einrichtung.
Sie zä h lte dreizehn Gläser, jed e s m it einem Korken verschl o sse n . Auf jedem klebte ein k l e i n er Z e tt e l, beschri f tet m it je zwei Buchstab e n. Initi a len, ver m utete sie. Es dauerte nicht la n ge, da fand sie die Aufschrift TG. Torben Grapow. Ein Glas am Rand trug die Initialen EF, andere waren m it Kombination e n beschriftet, die ihr auf Anhieb nichts sagten. Alle m öglichen Personen m ochten sich dahinter verbergen.
Dann stieß sie auf JT. Jakob Tiberius?
CM stand auf einem Glas ganz links. Ihre eigenen Initialen. Das Dar m stück in der gelblichen Flüssigkeit unterschied sich nicht von den anderen. Als sie das Glas in die Hand nahm und den Inh a lt genauer betrachtete, entdec k te sie einen Ei n stich in d e r Mitte des Schlauchs. Ein Blick auf andere Gläser bestätigte, d a s s alle d i e
gleiche Verletzung aufwiesen. Als hätte m an etwas durch die Dar m f r ag m ente hindurchgestochen, es dann aber wieder e n tfernt.
Aber zu welchem Zwec k ? Ir g en d ein krankes Ritual? Aberglaub e ? Eine Art wissensc h a f tlich e s E xperi m ent? Masken m o chte vieles sein – Schriftsteller, Regisseur, Produzent –, aber er war gewiss kein Forscher.
Sie dachte kurz nach, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, dann entkorkte sie das Glas, auf dem ihre Initi a len standen. Ein scharfer Geruch stieg auf, irgendeine Ch e m ikalie. Sie zögerte, dann tauchte sie Dau m en und Zeigefinger in die Flüssigkei t . A n geekelt v e rsuchte sie, das Dar m stück herauszufischen. Es war nicht einfach, das glit s chige D i ng zu f assen zu bekom m en, aber schlie ß li c h gelang es ihr. Es fühlte sich an wie eine Nacktsc h necke.
Und was nun? Es ei nf ach einzu s tecken erschien ihr falsch. Schließlich warf sie es wieder in die Flüssigkeit, verkorkte das Glas sorgfältig und schob es in ihre lin k e Manteltasche. Es passte gerade eben hinein und wurde von dem engen Stoff aufrechtgehalten.
Angewidert zog sie sich aus der Kammer zurück. Das Glas in ihrer Tasche zog die linke Seite des Mantels nach unten und schlug bei jedem Schritt gegen ihren Oberschenkel. Ihre Hand schloss sich fester um den Griff des Revolvers, bis die geschliffenen Dia m anten ei n Muster in ihre Handfläche pressten.
Sie schaltete das Licht im Badez i m m er aus, machte alle Türen hinter sich zu und eilte den dunklen Korridor hinunter. Sie verharrte kurz vor Maskens Arbeitszim m er und dachte daran, noch einen Blick auf sein B ücherregal zu werfen, auf die Schri f ten Rudolf Steiners und Nietzsc h es, die in irge n deinem abstrusen Zusammenhang m it all d e m hier stehen mochten. Ein Zus a m m e nhang, den sie sich selbst im Drogenrausch nicht vorstellen konnte.
Sie wandte sich vom Arbeitszim m e r ab und lief weiter. Ein m al glaubte sie Geräusche zu hören, über sich auf den Stufen zum Dachatelier. Aber als sie stehen blieb, war da nichts m ehr, nur Stille.
Auch die Eingangshalle war l eer und dunkel. Sie öffnete die Haustür vorsichtig, nur einen Spaltbreit, und blickte über die freie Fläche hinüber zum Tor. In der Ferne irrlichterten Schweißbrenn e r hinter Waggons und Gleisen, aber kein Mensch war zu sehe n . Sie fürchtete s i ch hinauszugehen, aber noch größere Angst hatte sie davor, im Haus zu warten, bis Masken und sein Lakai zurückkehrten.
Erst ein m al weg von hier, dann würde sie weitersehen. Sie m usste sich um N e tte küm m ern. Und dann war da im m er noch Henriette Hegenbar t h. Chiara zw e i f elte n i cht m ehr daran, dass die Kolu m nistin den Kont a kt zu ihr abgebrochen hatte, w e il Masken es so wollte. Er m usste erfahren haben, dass Henriette bei den Recherchen für ihr Buch über Jula m ehr herausgefunden hatte, als ihm lieb sein konnte. Hatte er sie bestochen? Bedroht? Letzteres, ver m utete Chiara. Henriette war kein Mensch, der sich leicht von etwas abbringen li e ß. Es sei denn, sie fürchtete um ihr Leben. Masken hatte sicherlich gute Argu m ente gehabt.
Sie holte tief Luft, als wollte sie in e i nen
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