Das zweite Gesicht
besser zuhören zu können als noch vor wenigen Minuten.
»Nie m and hat Sie gezwungen m itzugehen«, sagte er.
»Einer Ihrer Leute hat gesagt, dass sich je m and m it m i r über Medusa unterhalten wolle. Ich war neugierig.« Sicher – und völlig veräng s tigt, als die Männer aus dem nachtschwarzen Dunkel aufgetaucht waren.
»Gut, dann fangen wir m it Medusa an.« Er fiel zurück auf das Sofa. Fragte sich, wer hier wen nervös m achte. Der Mann konnte einfach nicht r u hig sitzen bleiben. Er schob eine Hand unter seinen Mantel und kratzte sich durch den S t off seines H e m des a m Oberkörper. » W ir alle waren dabei, als das Atelier ausge b rannt ist. Wir waren Ko m parsen.«
Ihr f i el ei n , was Henri e tte gesa g t hatte. Etwas im Zusammenhang m it dem Medusa-Fiasko, und darüber, dass sich die Vergangenheit r eg t e. Hatte das m it diesen Leuten zu tun?
Er zögerte kurz, dann knöpfte er sein angegrautes H e m d auf, schlug es m its a m t dem Mantel zurück und entblößte seinen Oberkörper. Er trug nichts darunter.
Chiara hörte für einen Mo m ent auf zu at m en.
Seine Brust und sein Bauch sahen aus, als hätte m an sie m it dickflüssigem Leim bestrichen, der zu bizarren Strähnen und Beulen geronnen war. Eine Brustwarze war noch zu sehen, die andere von einer W ulst aus wildem Fleisch verschluc k t. An m anchen Stellen war die verbrannte Haut schneeweiß, an anderen unnatürlich rosa. Mancherorts war das F l e i sch aufgeraut und von roten Kratzspuren zerfurcht.
Er gönnte ihr diesen Anblick noch einen Mo m ent länger, dann knöpfte er sein Hemd wieder zu.
»So ähnlich sehen die meisten von uns aus, m anche noch viel schli mm er«, sagte er. »Die Männer, die ich Ihnen geschickt habe, hatten das g l e i che G l ück w i e ich: Unsere Gesichter sind weitgehend unver s ehrt geblieben. Aber ich kann Ihnen andere zeigen, wenn Sie das wünschen … Männer und Frauen, die nic h t m ehr wie Menschen
aussehen. E i n paar wagen sich bei Tageslicht nicht m ehr ins Freie. Und das sind nur die äußerlichen W unden. Einige von uns hat m an weggeschlossen, weil sie in der Öffentlichkeit Anfälle beka m en und wie a m Spi e ß geschrien haben, wenn sie nur eine offene Fl a m m e sahen. Ganz zu schweigen von den fünf oder sechs, die sich seit dem Brand das Leben genomm e n haben.« Er sprach sehr ruhig, ohne eine Spur von Verbitterung. Vielleicht war er deshalb der Wortführer dieser Menschen.
» W as tun Sie hier draußen ? «, fragte sie m it belegter Stim m e.
»Ein paar von uns, eigentli c h sogar eine ganze Menge … wir haben uns zusam m e nget a n und beobachten Masken. Sie haben ver m utlich von der Gerichts v erhandlung gehört? Diese Farce! Masken wurde freigesprochen, angeblich, weil er nichts m it d e m Feuer zu tun –«
Sie unterbrach ih n : »I ch weiß, w as pas s ie r t ist. Die Wahrheit, m eine ich. Der Mann, der vor dem Altar verbrannte … Ich habe das alles gesehen.«
Er betrachtete sie abschätzend.
»Schauen S i e m i ch nicht so an«, sagte sie scharf. Sie würde sich m it ihm streiten können, wenn es darauf ank a m – so gut es eben ging. »Ich habe alles gesehen.«
»Das ist Unfug. Sie waren nicht dabei.«
»Ich habe Fil m aufnahm e n gesehen.«
»Die wurden alle zerstört.«
»Vielleicht … vielleicht aber auch nicht.«
Er setzte sich aufrecht. »Wo haben Sie sie gesehen ? «
»Erst sind Sie an der Reihe.« Das war albern, weil er ohnehin die m eiste Zeit über g e sprochen hatte. Aber sie brauchte eine Pause, um nachzudenken. »Erzählen Sie m i r alles … die Sache m it diesen … Orten? Und, bitte, ich hätte gern noch einen Schluck W asser.«
Eine Frau, die ihr vage bekannt vorka m , bra c hte eine Flasche W a sser ohne Kronkorken. Chiara konnte das Gesicht der Frau nicht auf Anhieb z uordnen, hatte aber das Gefühl, dass sie sie schon e i n m al auf der Straße gesehen hatte. Damals war ihr die schl ec ht sit z ende Perücke aufgefallen. Heute wusste sie, weshalb die Frau sie trug.
Nachdem s i e fort war, fragte Chiara: »Ich ke n ne die s e Frau. Sie haben m i ch beobachten lassen.«
»Ab und an.«
»Ist das hier … ich m eine, leben Sie alle h i er?«
»Die m eiste Zeit, ja. Jed e nfalls ich und ein paar, die nichts Besseres zu tun haben.« Er schnaubte höhnisch.
»Ein paar von den anderen tauchen m a l auf und verschwinden wieder. Einige schlafen in Asylen oder unter Brücken und verirren sich nur
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