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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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stille n , schwarzen See springen, dann zog sie die Haustür hinter sich zu und lief unter Julas steinernem Blick hinaus in die Nacht. Rasch huschte sie hinüber zum Tor, schaute erneut zwischen den Stäben hi n durch. Kei n e Mensche n seele weit und breit. D er W eg, der vom Fi l m haus fortführte, lag in völli g er Du n kelheit. Kein Auto m obil, das sich n ä herte.
    Ihr Herzschlag übertönte das Kli m p e rn der Schlüssel, als  sie das Tor öffnete. Ihr Brustkorb sch m erzte, und ihr Hals fühlte sich so trocken an, als hätte sie eine Hand voll Sand geschluckt.
    Sie spürte, dass die W i rkung des Kokains … nein, nicht nachließ, sich wandelte. Der Elan, der sie hergeführt hatte, nur das eine Ziel vor Augen, verflog all m ählich. Sie spürte Verzwei f lu n g in sich a u f steigen. A lles, was si e tat, w a r völli g er Irr s inn. W elche Chancen hatte s i e de n n, heil a u s dieser Sache herauszukom m en? Konnte sie sich an die Polizei wenden? W i e groß war Maskens Einfluss tat s ächlic h ?
    Sie m ochte etwa hundert M e ter weit gestolpert sein, verwirrt, von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen über m annt, beschä m t über ihre Fl u cht aus der Villa und die Kaltblütigkeit, m it der s i e Nettes Schick s al verdrän g t
    … ach was, in Kauf genom m en h a tte, als die Finsternis um sie Gestalt an n ah m .
    Erst war es nur ein Mann. Dann ein halbes Dutzend.
    »Sie können uns nicht alle erschießen, nicht wahr ? «
      
     
      
     
    Dreiundzwanzig
     

    Das Lagerfeuer loderte in einem Geviert aus zusam m engeschobenen Stahlgleisen. Rundherum hatte m an Bahns c hotter angehäuft. Die Flammen verzehrten alte Obstkisten, Papier, Abf ä lle und R e ste zersägter Holzbohlen.
    Die m eisten Männer und Frauen, die Chiara im Dunkeln sitzen sah, hielten respe k tvollen Abstand zum Feuer. Unter ihren auf m erksa m en Blicken betrat sie m it ihren Begleitern das Gelän d e, eingepfercht zwi s chen le e r stehenden Waggons, zwei d a von ausgebrannt. Das m usste der Eisenbahnfriedhof von Berlin sein, der Ort, an d e m alten W agen abgestellt und vergessen wurden.
    In einem Waggon brannte Licht. Es fiel durch den Spalt der Schiebetür. Chiara wur d e von einem Mann erwartet, der aufstan d , als sie ei nt rat. Anscheinend war er so etwas wie der Häuptling dieses Stam m es von Obdachlosen.
    Er trug einen alten Mantel m it ein paar hässlichen Flecken. Sie schätzte ihn a u f Anfang vierzig. Er hatte dunkles Haar, eingefallene W angen und sehr sch m ale Lippen, w a s sei n em Gesic h t e i nen m i ssbilli ge nden Zug verlieh. Seinen N a m en nannte er nicht, und sie fragte ihn nicht danach.
    »Setzen Sie sich«, sagte er und deutete auf einen zersc h lisse n en Sessel.
    » W aru m sollt e ic h ? «
    »Von m i r a us können Sie auch stehen bleiben.« Er ließ sich auf ein Sofa falle n , das aussah, als hätte er es aus einem Müllberg gezogen. »Ganz wie Sie wollen.«
    »Ihr Leute haben gesagt, Sie w ollen m it m i r über
    Masken sprechen.«
    Er nickte, starrte sie dann schweigend eine Weile lang an, ehe er die Geduld ver l or. » H im m el Herrgott, nun setzen Sie sich schon! Das m acht einen ja ganz verrückt, wenn Sie hier ru m stehen, als m üssten Sie jeden Mo m ent vor irgend w em davonlaufen.«
    »Der Gedanke ist m i r gekom m en.« Aber sie spürte, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Die Lehnen des Sessels reckten sich ihr ent g egen wie einla d end ausgestreckte A r m e. Mit einem leisen Seufzen nahm sie Platz.
    Er nickte zufrieden. »Sie sind in Maske n s Haus eingebrochen. W aru m ? «
    » W as sind Sie? Sein W achdienst ? «
    Der Mann verzog keine Miene. »Nein.«
    »Ich habe einen Schlüssel. W as bri n gt Sie auf d i e Idee, ich wäre …«
    »Ich bitte Sie! Es ist m itten in der Nacht, und Sie hab e n sich so v er h alten, als hätten Sie An g st, verfol g t zu werden. Außerdem waren Sie nicht zum ersten M al all e in hi e r. Also hören Sie auf, m i r etwas vorzuspielen.«
    Sie hatte d as Gefühl, nie wieder aus diesem Sessel aufstehen zu können, so schwer wurden ihre Glieder. Sie hörte, was er sagte, aber sie m usste sich konzentrieren, um den Sinn seiner W orte zu erf a ssen. Er re d ete weite r ; e s klang, als wäre er wütend, aber sie spürte, wie ihre Auf m erks a m keit im m er m ehr nachließ. Schlie ß li c h unterbrach sie ih n : »H ätten Sie vielleic h t ein Glas Wasser ? «
    Er stand auf, ging z u r S chie b etür und rief etwas hinaus ins Freie. Wenig

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