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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Bewegungen wahrzuneh m en, aber das war nur der Schatten d es Gitt e rto r s, der sich im f ernen Schein zuckender Schweißbrenner d e hnte und streckte, so als wäre er gerade aus tiefem Schlaf erwacht.
    So schnell sie konnte, lief sie über die Auff a hrt zum Haus. Unter den beiden Standbildern ihrer S chwester kam sie zum Stehen. Am liebsten h ätte sie d i e b ei d en St a t uen u m gestürzt; sie wollte sehen, wie sie am Boden zersc h ellten. Aber da f ür war jetzt keine Zeit. Sie hatte  W i chtigeres zu tun.
    Sie betrat das Haus und stand einen Mo m ent lang im Dunkeln, lehnte sich gegen die T ür und versuchte, ihre A t m ung unter Kontrolle zu b r ingen. W i eder schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf: Und wenn Masken sich hatte herbringen lassen? Von Iwan, in dessen W agen? Oder sein Auto nicht vor d e r Tür parkte, sondern in der Garage auf der anderen Seite des Gebäudes? Wenn sich beide Männer im Haus befanden?
    Sie hob die Waffe, ließ sie aufschnappen und zählte die Kugeln. Zwei hatte Her m ann in ihrer Küche abgefeuert, vier steckten noch in der Trom m el. Sie machte den Revolver wieder schu ss bereit, hielt ihn aber gesenkt. Für den Abent e uer f ilm m it Torben hatte sie gelernt, wie m a n so ein Ding in Anschlag brachte, sodass es einiger m aßen überzeugend aussah – da m it zu treffen, hatte m an ihr all e rdings ni cht bei g ebr a cht.
    Egal, sie würde schon klarkom m en.
    Vielleicht sollte sie einfach nach H ause fahren und alle über den Haufen schießen? E i n glucksendes Kichern stieg in ihrer Kehle auf. Das wäre eine Geschichte für die Presse. Fil m star läuft Amok. Erschießt ihre beste Freundin und zwei Pr oduzenten. Ganz zu schweigen vom untreuen Ehe m ann einer Konkurrentin. Und, nicht zu vergessen, einen dubiosen Privatsekretär, der m ehr Ähnlichkeit m it einem Donkosaken als m it einem Bürogehilfen hat.
    Sie schüttelte den Kopf, als hätte je m and anders diesen Unsinn vorgeschlagen, dann setzte sie sich in Bewegung. Dies m al kannte sie ihr Zi el.
    Rasch eilte sie die Treppen hinauf, den Flur entlang, betrat Maskens Schlafzimmer und ging ins Bad. Seltsa m erweise m achte die Dun k elheit ihr hier m ehr Angst als in den langen Gängen und d e m hallenden
    Treppenhaus. Sie spürte, dass s i e hier des Rätsels Lösung finden würde; hier war sie n u r noch einen Schritt entfernt von … ja, wovon?
    Sie zögerte kurz, dann schal t ete sie das Licht ein. Das Erste, was sie sah, war ihr eigenes Abbild im Spiegel. S i e war blass, ihr Haar zerrauft vom Handge m enge in ihrem Wohnz i mmer. Ihr Anzug war b e schmutzt, Blut f l ecken auf ihrem Revers, aber a u f d e m dunklen Stoff waren sie ver m utlich nie m andem au f ge f allen. Sie s ah a u s wie e i ne Wahnsinnige, fand sie.
    Der W and s chrank stand einen Spalt weit offen. Sie schob sich hinein und fand na c h kurzem Tasten das Schlüsselloch in der Rücksei t e. Sie hatte vergessen, dass keiner der Schlüssel pass t e. Fluchend riss sie die Regalflächen heraus, holte Schwung und warf sich gegen das Holz. Beim dritt e n Mal gab das Schloss nach. Die niedrige Gehei m tür schwang auf. Kühle, abgestandene Luft schlug ihr entgegen.
    Hinter der T ür war es dunkel. Chiara tastete nach einem Lichtsc h alter. Nach kurzer Suche fanden ihre Fingerspitzen einen Dreh m echanismus. Als das Licht einer nackten Glühbirne den R a um erhellte, sah sie ein Regal vor einer weiß gekalkten Wand. Auf d e n Brettern standen verkorkte Gläser m it einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Und darin schw a m m en … Dinge.
    Der Khan sammelt Teile toter Schauspielerinnen, hatte  Nette gesagt. Geschlec h tsteile.
    Aber das waren keine G esch l echtsorgane, das zu m i ndest erkannte sie auf Anh i eb. Zu klein, zu gleichfö r m ig, obwohl die Flüssigkeit und d a s runde Glas sie optisch verzerrten und vergrößerten. Schlauchartige For m en, nicht länger als zwei Fingerglieder.
    Chiaras Narbe begann zu jucken, zum ersten Mal seit  vielen Tagen. Sie hatte keine Ahnung von An a t o m ie, sie konnte nicht sicher sein – aber die V er m utung reichte aus, um ihr den Atem zu rauben.
    Es waren Stücke von Där m en. Kurze, unscheinbare Röhren, sauber auf beiden Seiten abgetrennt. Die Oberflächen schim m erten weißlic h . Alles wirkte s ehr reinlich, sehr hygienisch. Auf d e m Regal lag kein Staub, und der m it Linoleum ausgele g te Boden war blitzblank. Da Masken sicher kei n er Putzfrau den Zutritt zu diesem Raum gest a tt e te, m usste

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