Das zweite Gesicht
Umgebung eines Kindes! Oder, nein, eine erwachsene W elt, aber e i ne, die m an aus der Perspekti v e eines Kindes w a hrnim m t, weil alles ein wenig höher und größer ist als anderswo.«
Masken runzelte die Stirn. »Sie könnten Recht haben.«
» W ann hat Jula das Haus bauen lassen ? «
»Ungefähr vor vier Jahren.«
»Da war sie schon ein paar J a hre in Berlin. Und bereits ein Star, oder ? «
»Gewiss. Sonst hätte sie s i ch ein solches Haus nicht leisten können – oder die entsprechenden Kredite aufneh m en können.«
Über das B ett hinweg, auf dem Ju l a gestorben war, sah sie ihn eindringlich an. » W arum haben Sie darauf verzichtet? Im Austausch für die Schuldscheine hätte das alles Ihnen gehört.«
»Und was soll ich da m i t? Ich habe schon ein H aus, das m i r gefällt.« Er schaute sich u m , sein Ausdruck verdüsterte sich.
»Das alles h i er ist m i r zu …«
»Künstlic h? «
Er lachte. »Ich schätze, es gibt wenig, das künstlicher ist als das Haus, in dem ich lebe. Nein, das ist es nicht. Dieses Haus hier ist m i r zu sehr … zu sehr wie Jula, wenn S i e verstehen, was ich m eine.«
»Aber das Haus sieht nicht aus wie die Villa von
je m and e m , den m an die Dunkle Diva genannt hat.«
»Das war sie nur f ür die Öf f entlic h keit. Die wahre Jula war so kühl wie das alles hier. Und wahrscheinlich im m er auf der Suche nach irge n detwas.«
»Nach ihrer Kindheit ? « Eine Feststellung, als Frage getarnt. Jula war vor ihrer Kindheit in Meißen davongelau f en. Aber hatte sie sich in den letzten Jahren wo m öglich danach zurückgesehnt? Die Sic h tweise eines Kindes, verbunden m it dem Reichtum und d e m Ruhm einer Erwachsene n ? W a s sagte das über Julas Verfassung vor ihrem Selbst m ord aus?
Masken wandte sich ab und verließ den Rau m . Chiara folgte ihm und war erleichtert, als sie die Tür hi nter s i ch schloss. W e nn es Jula beim Bau dieses Hauses wirklich um die Rückkehr in ihre Jugend gegangen war, wo war dann die Nostalgie?
Die bunten Bilder, die Bücher m it den Geschichten und Märchen? Bis auf die Puppe gab es hier nichts davon. Julas Sicht ihrer Kind he it war eine andere gewesen, eine verzerrte Perspektive von unten, wie durch eine K a m era, deren Stativ zu niedrig gerat e n war. Hatte Jula m it ihrer Kindheit w i rklich nur ein Gefühl von Kleinsein, von Schwäche verbunden? Und wie p a sste das zu der Art, in der sie sich präsentiert h att e , im m er laut, oft ge m ein, a m liebsten im Mittelpunkt?
»Haben Sie Ihre M u tter eigentlich noch gekannt ? «, fragte Mas k en, als er s i e durch eine Glast ü r aus dem Wohnz i mmer auf eine weite Terrasse führte. »Ich m eine, wirklich gekannt.«
Chiara schüttelte den K opf. »Ich war erst vier, als sie starb. Jula hat ihr viel n ä h er g e s t an d e n . Me i ne Erinnerungen an sie sind vage, nur ein paar E i ndrücke. Aber ihr Gesicht … S i e war sehr schön, wissen Sie. Eine
echte Italienerin eben, haben die Leute im m er gesagt. Mein Vater hat nicht oft über sie gesprochen … er hat nie über das gesprochen, was ihm zu s chaffen ge m acht hat. Unser Haus war ein sehr stilles Haus.« Ich kann nicht fassen, dass ich ihm d a s erzähle, dachte sie und m achte doch keinen Versuch, das Gespr ä ch zu beenden. »Jula hat viel m ehr unter Mutters Tod gelitten als ich.«
» W ar u m reden Sie immer nur von Jula und zur Abwechslung nicht m al von sich selbst ? «
Fühlte sie sich m i nderwertiger als i h re Schwest er ? Nein, das war es nicht. Gegen Jula und ihr Leben in Berlin war Chiara ein unbeschriebenes Bl a tt. Si e hatte sich seit i h rer Ankunft in Berlin, ach was, seit Julas Verschwinden aus Meißen m ehr Gedanken über i h re S c hwester a l s über sich selbst ge m acht. Als hätte sie da m it die Unzufriedenheit über ihr bi s heriges Da s ein vor si c h selbst t o tschweigen können. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich aus Julas Schatten zu lösen und ihr Leben in die Hand zu neh m en.
Sie nahm den Faden wieder auf. »Ich war da m als zu jung. Aber Jula hat oft von unse r er Mutter erzählt. Sie hat sie sehr bewundert, glaube i c h. Aber da war noch m ehr, fast so etwas wie ein … ich weiß nicht, ein Gefühl von Schuld, vielleicht.«
»Als ob sie für den Tod Ihr e r M utt e r vera nt wortlich wäre ? «
»Gott bewahre, nein. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, Mutter hat ihr oft d a s Gefühl gegeben, dass sie i hre Karr i e re nur für uns K i nder aufgegeben ha t
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