Das zweite Gesicht
u ern at m ete sie weiter, zwischen Mar m or und Elfenbein. Sie war nicht ein m al unsicht b ar: Chiara h atte sie in jed e m Spiegel e ntdeckt, im flüchtigen V orbeigehen und wenn sie direkt hineinsah.
Jula war da und starrte sie an.
*
Das Adlon lag am Boulevard Unter den Linden, in un m ittel b arer Nähe des Brandenburger Tors. Als Berliner Inbegriff von Eleganz und Luxus war es das offizielle Quartier von Diplo m aten und Staatsgästen, von Pro m inenz aus Kunst und Fil m , W i ssenschaft und W i rtschaft. Es wunderte Chiara nicht, dass Masken sie ausgerechnet hier unterbrachte: Er hatte die A b sicht zu i m ponieren, und er war bereit, sich das etwas kosten zu lassen.
Der beeindruckende Bau m it seinen fünf Stockwerken, den Balustraden und gesch m ü c kten Balkons, hohen Fenstern und einem Eingang m it weinrotem Teppich hätte ihr Respekt eingeflößt, wäre da nicht der alte Bär von einem Portier gewesen, der i hnen die Tür aufhielt, dabei aber nur Chiara ansah und ihr aufmunternd zulächelte, als wollte e r s a gen: » W ir gehören zwar beide nic h t hierh e r, aber im Gegensatz zu denen da sind wir uns dessen wenigstens bewusst, was, m ein Kind ? «
Im Erdgeschoss und im ersten Stock gab es m ehrere Restaurants und Salons, m anche in Mar m or, andere in edlem Holz gehalten. Aus dem W i ntergarten zum Innenhof ertönte ferne Musik – das Orchester Max W eber, wie sie später erfuhr, B erlins Vorzeigeco m bo in Sachen mondäner Tanzunterhaltung.
Masken erzählte ihr, dass die Suiten 101 bis 114 im ersten Stock Pro m inenten vorbehalten waren; selbstverständlich hatte er eine davon für sie gebucht. W i derspruch ließ er nicht gel t en, und als der Page die Tür
111 aufschloss und Chiara dabei m it großen Augen ansah, raunte Ma s ken ihr zu, dies sei ein m al Julas Zim m er gewesen. Dann stand sie schon im ersten Raum und ließ den Prunk der Einrichtung auf sich wirken. Gegen ihren W illen war sie beein d r u ckt, und sie musste sich hastig i n s Gedächtnis rufen, dass ihr Hiersein n ur ein weiterer Schritt war, um Ju l a besser kennen zu lernen.
Das alles bedeutet nichts, redete sie sich ein. Du bist nicht hier, um es zu genießen. Lass dich nicht blenden.
Die Griffe der Kommoden und Schränke, sogar die Wasserhähne im Bad e zim m er w a ren vergoldet. Eine Sitzgruppe am Fenster war m it W ildleder bezogen, und auf d e m Tisch stand etwas, das sie noch nie zuvor gesehen hatte: Die Miniatur eines Bau m es, eine lebende, echte Pflanze, nicht viel höher als ihre Hand und doch m it allen Eigenschaften einer uralten Eiche. Eine Schachtel handgefertigter Pralinen lag daneben. Die Suite bestand aus vier Räu m en, einer war ein begehbarer Schrank. In ihn stellte sie ihr Gepäc k . Der Anblick der einzelnen, abgegriffenen Reiseta s che in m itten der leeren F ächer und Regale war so absurd, d ass sie lac h en m usste.
»Ich lasse S i e jetzt allein«, sagte Masken, als sie nach ihrem Rundgang zu ihm zurückkam. Er stand zwischen den Sesseln a m Fenster und blickte gedankenverloren in den Rau m , als sähe er noch e t was anderes darin. Er hatte sichtlich Mühe, sich loszu r eißen. »Ich küm m ere m i ch daru m , dass wir in den nächsten Tagen beginnen können. Soweit ich weiß, sind Grapow und Götzke derzeit frei.«
»Torben Grapow ? «, fragte sie, noch immer ein wenig befangen von der prunkvollen Umgebung. »Aus d e m Adlatus?«
Masken nickte. »Er spielt den Helden, wenn m an ihn denn so ne n nen will. Die Frauen si n d verr ü ckt n ach ih m , Sie werden ihn m ögen.«
Sie lachte wieder, n och ein wenig nervöser. »Ich verliebe m i ch bestim m t in keinen Fil m star.«
Er lächelte, zum ersten Mal, seit si e die Suite betr e t en hatten. »Das hat Jula auch gesagt. Dabei war sie am all e r m eisten in sich s el b st ve r lie b t .«
» W er ist der andere ? «
»Bernhard Götzke. Großartiger S chauspieler. Hat vor zwei Jahren m it Fritz L ang den Müden Tod ge m acht. Bei uns spielt er den Roderick Usher. Seine er st en Szenen waren fantastisch.«
Sie spürte Beklem m ung, als i h r zum ersten Mal wirklich bewusst wurde, auf w a s sie sich eingelassen hatte. Sie
würde in einem Fi l m m itspielen – und sich vermutlich bis auf die Knochen bla m ieren. Einen Augenblick lang war sie drauf und dran, den ganzen Unsinn zu beenden, bevor er richtig beginnen konnte. Dann aber beherrschte sie sich, nickte nur ein wenig steif und stellte keine weiteren
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