Das zweite Gesicht
Herrgott, sie selbst hatte sich noch nie so reden hören!
»Reiß dich zusam m en«, flü s terte er m it gesenkter Stim m e, aber m it so v i el Nach d r u ck, dass s i e ersc h rak.
»Reiß dich, verdam m t noch m a l, vor all diesen Leuten zusam m en!«
Sie spielte m it d e m G e danken, ihm eine runterzuhauen, da m it er s i e lo s l ieß, aber d a n n schnaubte sie n u r verächtlich, und im selben Augenblick löste sich sein Gr i ff.
»Jetzt m achst du denselben Fehler wie sie«, rief er ihr nach, während sie Richtung Tor eilte. »Du gibst m i r die Schuld für etwas, für das ich nichts kann.«
Sie schüttelte die W orte ab wie seine Hand, aber so wie den Druck seiner Finger spürte sie den Stich dessen, was er gesagt hatte, noch eine ganze W eile länger.
Am Tor stand je m and und erwartete sie.
Eine Frau in einem bodenlangen Z obel m antel, trotz des war m en Wett e rs. Sie war gut fünfzehn Jahre älter als Chiara, um die vierzig. Ihr Gesicht war gesch m inkt, als kä m e sie gerade aus der Maske eines der Ateliers – tatsächlich aber war dies i h r übliches Make-up. Die Blicke der Frau kl e bten an ihr m it e i ner solchen Intensität, dass Chiara glaubte, den Puder i h rer Lidschatten riechen zu können.
Sie erkannte sie sofort.
Elohim von Fürstenberg, die Diva der Diven. Liebling der Hegenbarth und aller a nderen Klatschkolu m nisten. Inti m feindin vieler Filmg r ößen, der es sogar gelungen war, die ewigen Streithähne Asta Nielsen und Henny
Porten in ei n er Allianz g egen sich zu verei n en.
Hinter ihr st and eine zweite Frau, sehr viel jünger, teuer gekleidet, wenn auch schli c hter, in einem schwarzen Anzug m it Krawatte. Kurzes Haar, ei n e Mappe m it Schreibblock in der H and. Elohi m s Sekretärin – oder, wenn m an den Gerüchten Glauben schenkte, ihre Gespielin. Ver m utlich b e ides.
Chiara tat, a l s be m erkte sie die Blicke der Frauen nicht. Sie ging schnurstracks auf s i e zu, die Augen durch sie hindurch auf das dahinter lieg e nde T or gerichtet. Ihr gefiel das selbst si chere Lächeln nicht, da s die Fürst e nberg z u r Schau trug, aber noch mehr verwunderte es sie. Sie waren sich nie begegnet, abgesehen von dem Abend, a n d e m sie während ei n er Pre m ierenfeier gleic h zeitig den Waschraum aufgesucht und einander zugenickt hatten.
Mit einem Nicken würde Elohim von Fürstenberg es dies m al nicht bewenden lassen, das schrie Chiara ihre ganze Haltung entgegen. W enn sie Streit wollte, gut, den konnte sie haben. Dabei küm m erte es sie wenig, dass sie selbst so na ss war wie ein aus dem W asser gezogener Straßenköter, m it einem Handtuch um den Schultern und kläglicher Frisur, während die F ürstenberg Luxus und Überheblichkeit im Übe r m aß vereinte.
Als nur noch wenige Schri t te z w ischen den Frauen lagen, hob die Sekretärin stumm die linke Augenbraue. Ihre Fing e r spielten m it einem Füll f ederhalter, ließen ihn geschickt an der Vorder- und Rückseite der Hand entlangwandern.
Auch Elohim bewegte die Hände, und Chiara sah, dass das, was sie für einen Muff geh a lten hatte – bei d e m W ette r ? –, tatsäc h lich e i n zusam m e ngerollter Pudel war, schneeweiß und sehr jung. Fast hätte sie gelacht, als ihr klar wurde, dass die Di v a wirklich k ein Kli s chee ausließ.
Sie wird Kindchen zu m i r sagen, dachte sie m it kalter Belustigung. Auf jeden Fall wird sie das.
»Sie haben m eine Rolle gestohlen«, sagte die Fürstenberg und m achte k e ine Anstalten, den W eg freizugeben. Chiara hätte einen B ogen um sie m achen müssen, um zum Tor zu gelan g en, und diese Blöße wollte sie sich nicht geben.
»So ? «, fragte sie.
Die Sekretärin s chwieg. Die erho b ene Braue kl ebte auf ihrer S t irn wie ein Sch m inkunfall.
»Sie spielen m eine Rolle«, sagte E l ohim von Fürstenberg noch ein m al.
Chiara blieb vor ihr stehen und kreuzte ihren Blick m i t eisiger Aggression. »Ich denke nicht. Sonst wären Sie gerade aus dem Wasser geklettert, nicht ich.«
»Der Produzent hat S i e in I h rem ersten Fil m chen gesehen. Daraufhin hat er m einen Vertrag gekündigt und Sie engagiert.«
Chiara wusste nicht, ob das die W a hrheit war. Falls ja, berührte es sie wenig.
»Das tut m i r Leid für Sie.«
»Das m uss es nicht.«
» W as wollen Sie dann?«
Elohim lächelte süffisant. »Ich habe Sie doch nicht et w a auf dem falschen F u ß erwischt? Sie wirken etwas indisponiert.«
» W enn Sie etwas von m i r wollen, sagen
Weitere Kostenlose Bücher