Das zweite Gesicht
gut.
Sie hatte die hal b e Strecke hi n t er s i ch ge b rac h t, als ihr Fuß sich in etwas verhakte. Eine der W asserpflanzen, die beflissene Ausstatter im Wasser ver t e i lt ha tt en. Sie stolperte, verlor m it dem anderen Fuß auf dem glatten
Grund den Halt und stürzte.
»Aus!«, brüllte je m and, und tatsächlich schien je m and im selben Augenblick die gesamte U m gebung einfach abzuschalten.
Die W i rklichkeit kippte, wandelte sich.
Chiara schlug m it dem Kopf ins Wasser. Eine W oge spülte über sie hinweg und drückte sie nach unten. Das Licht ging aus, alle Geräusc h e waren auf einen Schlag wie abgeschnitten.
Lichtspiralen hinter ihren Lidern, glühende Wendelpfade in eine bodenlose Tiefe.
Sie trat m it den Füßen, suchte Halt, fand keinen.
Ich kann dir nicht helfen.
Ihre Hände stießen ins Leere, k alte Finster n is ü berall um sie heru m .
Vorsicht vor …
Kein Oben m ehr, kein Unten. Nur eisige Kälte und die Licht e r hi n t er ihren Augenlider n , Spir a l en in den Abgrund.
Aus der Dunkelheit stieg etwas zu ihr herauf, ein Gesicht, ihr Gesicht, fahl und blass wie eine W asserleiche, m it wallendem Haar und ausge s treckten Händen, die nach ihr griffen.
Böse.
Hände an ihren Schultern, an ihren S chläfen.
Böse . Böse . Böse .
Je m and riss sie nach hinten, in einer funkelnden Wasserfontäne. Sie riss den Mund auf, schnappte panisch nach Luft, wurde weiter nach hinten gezogen und von zwei Ar m en aufgefangen. J e m and trug sie wie ein Kind, brachte sie s i cher an La n d.
Die Generatoren waren verst u m m t, die W ogen glätteten sich.
Der Lärm stam m t e von den Menschen im Atelier, die jetzt alle durchei n an d er r e deten. Ein Regieassistent be m ühte sich, für Ruhe zu sorgen, aber nie m and beachtete ihn. Je m and brüllte nach einem Arzt – einem Arzt, gottverdammt! –, und in Chiaras Hirn drang verschwom m en die Erkenntnis, dass es ihr gut ging. Sie war gestürzt, und da war nichts sonst, außer …
Außer der Stim m e.
Kann dir nicht helfen.
Leise wie fallen d e Ascheflocken, aber schnei d end wie glühender D raht.
»Brauche keinen Arzt«, brachte sie hervor und spuckte Wasser. Es war der Schock, der diese Dinge m it ihrem Verstand anstellte. Es m usste der Schock sein.
»Schon gut«, sagte der Mann, der sie auf dem Kies ablegte. Jemand reic h t e ihm Tücher. Eines ließ er gefaltet und schob es unter ihren Kopf, mit den anderen deckte er sie zu.
»Torben ? « Sie blinzelte. Die Szene stand ganz ähnlich im Drehbuch: Der Schmuggler, der sie am Strand fand und sich um sie küm m erte.
Aber Torben trug Straßenkleidung, nicht das Sch m ugglerkostü m . Und seine Szene war erst am Nach m ittag dran, nic h t jetzt.
Irgendwo im Hintergrund rief eine Frau i m m e r wieder
»O Gott!«
Ogottogottogottogott …
»Es geht m i r gut«, brachte C h iara hervor. » W irklich … Ich bin in Ordnung.« Und das w a r sie. Im Großen und Ganzen jedenfalls.
»Ich weiß«, sagte Torben. Sein dunkles Haar war so nass wie ihr eigenes. Hatte er tauchen müssen, um sie aus d e m Wasser zu ziehe n ? A b er das Bec k en war doch nicht so tief. Nie m and konnte darin ertrinken.
Nur einszwanzig.
Aber das Gesicht, d as a u s der Tiefe aufstieg. Da war kei n e Tiefe.
Sie hob den Oberkörper, setzte sich auf. »Schon gut«, sagte sie. » Es ist nic h ts. Nur der Schreck … glaube ich. Lasst m i ch …. ja, danke.« Noch ein Handtuch, als wollte m an sie darunter begraben.
Es roch verbrannt. Nach verbranntem Kunststoff und verbranntem Fleisch.
Und da begriff sie. Torben und die Kostü m bildnerin m it den Handtüchern waren die einzigen, die sich um sie küm m erten. Alle anderen standen am Fuß der Felswand in einem Pulk.
»Geht’ s ? « Der Regis s eur erschien in ihrem Sichtfel d , ging neben ihr in die Hocke.
»Ja … ja, sicher.«
»Gut. W enigstens dir ist nichts passiert.«
»Aber was …«
Sie sah es, als die Men g e sich öffnete, um zwei Sanitäter m it einer Trage durchzulassen. Sie wuchteten e i nen Körper darauf, einen der Beleu ch t er. Er regte sich nicht. Seine Hände fielen seitlich von der Trage – sie waren schwarz wie Kohle, dünner Rauch stieg von ihnen auf.
Der Regisseur lief zurück zu den anderen.
Chiara sah den Scheinwerfe r , der auf halber Höhe der falschen Felswand hing, verfangen in einem Netz aus
Kabeln und Seilen. Qualm drang aus dem zersplitterten Glas. Je m and sprühte m it einem Schlauch W asser darauf.
»Einer
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