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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gut.
    Sie hatte die hal b e Strecke hi n t er s i ch ge b rac h t, als ihr Fuß sich in etwas verhakte. Eine der W asserpflanzen, die beflissene Ausstatter im Wasser ver t e i lt ha tt en. Sie  stolperte, verlor m it dem anderen Fuß auf dem glatten
    Grund den Halt und stürzte.
    »Aus!«, brüllte je m and, und tatsächlich schien je m and im selben Augenblick die gesamte U m gebung einfach abzuschalten.
    Die W i rklichkeit kippte, wandelte sich.
    Chiara schlug m it dem Kopf ins Wasser. Eine W oge spülte über sie hinweg und drückte sie nach unten. Das Licht ging aus, alle Geräusc h e waren auf einen Schlag wie abgeschnitten.
    Lichtspiralen hinter ihren Lidern, glühende Wendelpfade in eine bodenlose Tiefe.
    Sie trat m it den Füßen, suchte Halt, fand keinen.
    Ich kann dir nicht helfen.
    Ihre Hände stießen ins Leere, k alte Finster n is ü berall um sie heru m .
    Vorsicht vor …
    Kein Oben m ehr, kein Unten. Nur eisige Kälte und die Licht e r hi n t er ihren Augenlider n , Spir a l en in den Abgrund.
    Aus der Dunkelheit stieg etwas zu ihr herauf, ein Gesicht, ihr Gesicht, fahl und blass wie eine W asserleiche, m it wallendem Haar und ausge s treckten Händen, die nach ihr griffen.
    Böse.
    Hände an ihren Schultern, an ihren S chläfen.
    Böse . Böse . Böse .
    Je m and riss sie nach hinten, in einer funkelnden Wasserfontäne. Sie riss den Mund auf, schnappte panisch nach Luft, wurde weiter nach hinten gezogen und von zwei Ar m en aufgefangen. J e m and trug sie wie ein Kind,  brachte sie s i cher an La n d.
    Die Generatoren waren verst u m m t, die W ogen glätteten sich.
    Der Lärm stam m t e von den Menschen im Atelier, die jetzt alle durchei n an d er r e deten. Ein Regieassistent be m ühte sich, für Ruhe zu sorgen, aber nie m and beachtete ihn. Je m and brüllte nach einem Arzt – einem Arzt, gottverdammt! –, und in Chiaras Hirn drang verschwom m en die Erkenntnis, dass es ihr gut ging. Sie war gestürzt, und da war nichts sonst, außer …
    Außer der Stim m e.
    Kann dir nicht helfen.
    Leise wie fallen d e Ascheflocken, aber schnei d end wie glühender D raht.
    »Brauche keinen Arzt«, brachte sie hervor und spuckte Wasser. Es war der Schock, der diese Dinge m it ihrem Verstand anstellte. Es m usste der Schock sein.
    »Schon gut«, sagte der Mann, der sie auf dem Kies ablegte. Jemand reic h t e ihm Tücher. Eines ließ er gefaltet und schob es unter ihren Kopf, mit den anderen deckte er sie zu.
    »Torben ? « Sie blinzelte. Die Szene stand ganz ähnlich im Drehbuch: Der Schmuggler, der sie am Strand fand und sich um sie küm m erte.
    Aber Torben trug Straßenkleidung, nicht das Sch m ugglerkostü m . Und seine Szene war erst am Nach m ittag dran, nic h t jetzt.
    Irgendwo im Hintergrund rief eine Frau i m m e r wieder
    »O Gott!«
    Ogottogottogottogott …
    »Es geht m i r gut«, brachte C h iara hervor. » W irklich … Ich bin in Ordnung.« Und das w a r sie. Im Großen und  Ganzen jedenfalls.
    »Ich weiß«, sagte Torben. Sein dunkles Haar war so nass wie ihr eigenes. Hatte er tauchen müssen, um sie aus d e m Wasser zu ziehe n ? A b er das Bec k en war doch nicht so tief. Nie m and konnte darin ertrinken.
    Nur einszwanzig.
    Aber das Gesicht, d as a u s der Tiefe aufstieg. Da war kei n e Tiefe.
    Sie hob den Oberkörper, setzte sich auf. »Schon gut«, sagte sie. » Es ist nic h ts. Nur der Schreck … glaube ich. Lasst m i ch …. ja, danke.« Noch ein Handtuch, als wollte m an sie darunter begraben.
    Es roch verbrannt. Nach verbranntem Kunststoff und verbranntem Fleisch.
    Und da begriff sie. Torben und die Kostü m bildnerin m it den Handtüchern waren die einzigen, die sich um sie küm m erten. Alle anderen standen am Fuß der Felswand in einem Pulk.
    »Geht’ s ? « Der Regis s eur erschien in ihrem Sichtfel d , ging neben ihr in die Hocke.
    »Ja … ja, sicher.«
    »Gut. W enigstens dir ist nichts passiert.«
    »Aber was …«
    Sie sah es, als die Men g e sich öffnete, um zwei Sanitäter m it einer Trage durchzulassen. Sie wuchteten e i nen Körper darauf, einen der Beleu ch t er. Er regte sich nicht. Seine Hände fielen seitlich von der Trage – sie waren schwarz wie Kohle, dünner Rauch stieg von ihnen auf.
    Der Regisseur lief zurück zu den anderen.
    Chiara sah den Scheinwerfe r , der auf halber Höhe der falschen Felswand hing, verfangen in einem Netz aus
    Kabeln und Seilen. Qualm drang aus dem zersplitterten  Glas. Je m and sprühte m it einem Schlauch W asser darauf.
    »Einer

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