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Das zweite Gesicht

Titel: Das zweite Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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der Scheinwerfer hat Feuer gefangen«, sagte Torben und blickte abwechselnd zwischen ihr und dem Mann auf der Trage hin und her. Ein Arzt kam dazu und rief etwas über die Schulter nach hinten.
    »Plötzlich hat es da oben gebrannt«, fuhr Torben fort und m i ssdeutete offenbar ihren Blick, denn er fügte leise und m it nervösem Lächeln h i nzu: »Nein, ich hab nicht geraucht … nicht m ehr, seit der Sache bei Masken.« Daran hatte sie längst keinen Gedanken m ehr verschwen d et, a b er s i e glaubte ih m , als er es sagte. »Der Scheinwerfer brannte, und der Mann hat versucht, ihn hinunter zu werfen, weg von den anderen Geräten, da m it nicht d i e ga nze Kuli s se in Flam m en aufgeht … Aber das Ding hat sich verfangen, und der Mann m uss irgendwie auf den Kabeln gestanden haben, keine Ahnung. Auf jeden Fall i s t er m it runt e rge f allen u nd hat si c h an dem brennenden Ding festgehalten, und dann ist er abgerutsc h t  …«
    Benom m en fragte sie si c h, wie lange sie im W asser gewesen war. W ar das alles in dieser kurzen Zeit passiert? Hatte nie m a nd ihren Sturz be m erkt, weil gleichzeitig d e r Scheinwer fe r in Flam m e n au f ging? Hatten a lle zur Klippe geschaut, nicht zu ihr aufs W asser, alle au ß er T o rbe n ?
    »Danke«, sagte sie knapp, rappelte sich hoch und warf die Handtü c her ab. Sie kam sich läc h erlich vor, klit s chnass daliegend, während der ar m e Kerl dort m it verbrannten Händen und Schlim m erem abtransportiert wurde.
    »Er ist t o t«, sagte eine Stim m e, als die Sanitäter m it der Trage zum Ausgang rannten, gefolgt von dem Arzt. Draußen wurde eine Alar m glocke geläutet.  Chiara schaute sich um und sah neben sich eines der  Mädchen aus der Maske. »Sie haben gesagt, dass er tot ist«, wiederholte es m it trä n enerstickter Stim m e. »Sein Genick ist …«
    Torben trat zu Chiara und ergriff ihre Hand.
    Sie horchte auf die Stimme in ihrem Inneren, aber da war nichts m ehr. Nur die Erinnerung an ihr eigenes Gesicht, d as aus der Tiefe zu ihr aufstieg. W i e d a m als i m Trau m : Ihr Ebenbild im W asserloch. Hände, die sie packten – H ände, die an ihr zerrten.
    Sie schüttelte sich und fror.
    »Schluss für heute«, sagte je m and. »Geht alle nach  Hause.«
    * Keiner ging nach Hause.
    Alle standen auf der S t raße zwischen den Atelierhallen, in Gruppen, die redeten oder schwiegen, und Chiara war m itten unter ihnen, m it Torben und d e m Reg i sseur und je m and e m von der Produktion, dessen Na m en sie vergessen hatte und der die ganze Z eit dum m es Zeug über Versicherungen und Beerdigungen und Angehörige plapperte.
    Irgendwann ging die Sache m it den Blicken los.
    Sie hätte es ahnen müssen, im selben M o m ent, als  Torben ihr erzählt hatte, was geschehen war.
    Die Blicke der anderen. Die stum m en Vorwürfe. Die unsicheren Fragen. Die Zweifel.
    Julas Fluch, stand in ihren Augen geschrieben. Du trägst Julas Fluch in dir.
    Chiara stieß ein Lachen aus, das zu laut war, als dass es im allgemeinen Stimmengewirr hätte untergehen können. Gespräche verstummten, Köpfe drehten sich zu ihr. Aus verstohlenen Blicken wurde Starren, aus Vorwurf offene Anklage.
    »Chiara, was …«
    Torben wollte sie au fh alten, ab e r sie schüttelte seine  Hand ab.
    »Lass m i ch.«
    Sie eilte davon, aber er folgte ihr, während hinter ihnen wieder die Stim m en laut wurden.
    Er holte s i e nach zwanzig Metern ein, auf halber Strec k e zum Ausg a ng. Dies m al legte sich seine Hand um ihren Oberar m , zu fest, um sie abzuschütteln.
    Zornig fuhr sie heru m . »Ich werde m i r von diesen  Leuten nicht die Schuld geben lassen!«
    »Nie m and gibt dir die S chuld.«
    »Red keinen Unsinn, Torben. Hast du gesehen, wie sie m i ch angestarrt haben ? «
    Er hielt i h r e m Blick sta n d, erwiderte aber nichts.
    »Lass m i ch gehen«, verlangte sie, aber seine Hand blieb an ihrem Arm.
    »Du bist pitschnass.«
    »Es ist Som m er. Ich werd schon nicht dran sterben.«
    »Lass gut sein, Chiara. Du kannst nichts dafür. Sie werden sich beruhigen und zu d e m selben Schluss kom m en.«
    »Julas Fluch … i m m er wieder Jula! Sie verfolgt m i ch bei alle m , was ich tue.«
    »Solche Unfälle passieren eben. Das hat weder was m it  Jula noch m it dir zu tun.«
    »Ich weiß d as. Aber die a nderen … nein, Torben. Diese  Idioten m a c hen m i ch dafür verant w ortlich!«
    Seine Miene drückte Verwund e rung aus. Er hatte sie noch nie derart über andere reden hören.

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