Das zweite Gesicht
für ein Abendessen zu zweit gedeckt, sorgfältig, m it Besteck für m ehrere Gänge, einer Champagnerflasche im Sektkühler, einer offenen Karaffe m it Rotwein und einer F l asche W eißwein.
Auf d e m Gasherd in der Küche verkohlten sch m ale Fleisch s treifen in einer Pf a nne. Die Kochstellen unter den anderen Töpfen waren dunkel, das G e m üse noch roh, das Wasser für die Nudeln kalt. Ein Dutzend Töpfchen m it Gewürzen war in Reih und Gli e d bereit gestellt, ein Blatt m it einem handgeschriebenen Rezept lag daneben.
Sie drehte das Gas ab und zog die heiße Pfanne m it einem Tuch vom Herd. Das Schaben über das Metallgitter klang in der stillen W ohnung unangenehm laut. Das Fleisch qual m te; es war bereits schwarz und hart, nicht m ehr lange, und es wäre in Flam m en aufgegangen.
Rasch eilte sie wieder ins W ohnzimmer, versicherte sich m it ein e m Blick zur W o hnungstür, dass diese i mm er noch geschlossen war, und drehte einen Lichtschalter an der Wand. Mit einem Schnappen schn e llte er zurück in seine Ausgangsposition. Es klang wie das Brechen eines Knochens.
Die La m pen blieben dunkel.
Sie versuchte es noch ein m al, ohne Erfolg.
Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. Je m and hatte Torbens Papiere durchwühlt, vielleicht auf der Suche nach Wertsachen.
Konnte sie wirklich sicher sein, dass derjenige nicht m ehr hier war?
Und wo steckte Torbe n ?
Angespannt horchte sie auf w e itere Laute, vielleicht ein Scharren an der Tür. Doch nichts rührte sich.
Rechts und links des Eingangs befanden sich zwei Sockel in d e r Form rö m i scher Säulen. Auf einem stand die Bronzestat u e eines antiken Helden, etwa dreißig Zenti m eter hoch. Der zweite So c kel war le e r. Chia r a ergriff die Figur und wog sie in beiden Händen wie eine W affe. Besser als g ar ni chts.
Sie öffnete die Tür links neben der Küche und betrat einen Gang, von dem m e hrere Räu m e abgingen.
Torben lag in der Badewanne.
Seine Augen waren geschlossen. Das W asser h atte sich rot gefärbt. Dunkles Blut lief als breiter S t rom aus einer Wunde in seiner Stirn, gabel t e sich an der Nasenwurzel, verzweigte sich an den Mundwinkeln in seine offenstehenden Lippen und f l oss vom Kinn hinab zur Brust, wo es zäh ins Badewasser m ü ndete.
Eine Statue – das Gegenstück zu jener, die sie in Händen hielt – lag am Boden. Auch sie war voller Blut.
Torbens rechter Arm lag auf dem W annen r and, der Zeigefinger war ausgestrec k t und berührte die Kacheln. Blutspritzer hatten die weiße W a nd und die A r m aturen gesprenkelt, vereinzelte P ünktchen, die bereits braun geworden waren.
Chiara berührte die Statue am Bod e n m it der Fußspitze, schob sie unschlüssig ein Stück vor, als erwartete sie, die kleine Bronzegestalt könnte zum Leben erwachen. Eine eigenartige Ruhe über k am sie. Zögernd s t ellte sie i h re eigene Statue am Boden ab, wischte sich m it d e m Ä r m el Schweiß von der Stirn, lehnte sich gegen den Rand des Waschbeckens und betrachtete den T oten.
Holte tief Luft. Unterdrüc k te ein Zitt e r n .
Torben m usste ein Bad g e nom m en haben, nachdem er das Fleisch auf den Herd gest e l lt h atte. Ver m utlich w a r das bereits eine ganze W eile her. Je m and war in die Wohnung eingedrungen, hatte ihn ermordet und sich dann Zeit gelassen, seine Sachen zu durchsuchen. Auch in den anderen Zimmern hatte sie offene Schränke und Schubladen gesehen. Alles deutete auf einen Raubüberfall hin.
Sie sagte sich, dass sie jetzt ganz vernünftig sein m usste, ganz kühl, ganz berechnend. Erstaunt über sich selbst, löste sie sich vom Becken und ging vor der W anne in die Hocke. Sie betrachtete Torbens Gesic h t, nicht die tiefe Wunde, sondern seine geschlossenen Augen, den Spalt zwischen seinen Lippen, der m it Blut verkrustet war, den Schatten von Bartstoppeln auf seinen W angen; wahrschei n lich hatte er sich nach dem Bad ra s i eren wollen.
Ihr Blick folgte sei n em ausgestrec k ten A r m . Es sah aus, als hätte er etwas m it dem Finger an die W and schreiben wollen. Aber die Kacheln waren sauber, es gab keine Blutspur. F alls er t a t s ächlich w ä hrend s e in e r l e tzten Ate m züge etwas hatte m itteilen wollen, so war es f ür im m er verloren.
Ihre Gedanken rasten. Sie traf Überlegungen und verwarf sie gleich darauf, fasste Entschlüsse und tat sie m it einem Kopfschütteln ab.
Man durfte sie hier nicht finden. Nie m and durfte sie m it Torbens Tod in Verbindung bringen. Es half
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