Das zweite Imperium der Menschheit
Deckel
der Form herauf. Gegengewichte surrten an ihren Schienen entlang. Er sah in
das unfertige Antlitz des Androiden.
Als vor Jahren noch der gewohnte, ungezwungene Ton zwischen den Forschern herrschte,
hatten sie den Mittelpunkt ihrer Forschungen Test Eins genannt. Jetzt waren
zu viele unter ihnen, die sich dem Sicherheitsdienst näher verbunden fühlten
als ihrer eigentlichen Arbeit. Nicht, dass sie deswegen schlechter geworden
waren. Aber es schlich sich eine gewisse Kälte in die Unterhaltungen ein,
eine unbegründete Gereiztheit. Es war alles anders geworden.
Test Eins schlief immer noch, würde noch lange schlafen. Und wenn er erwachte,
dachte Rapin belustigt, dann würde er, Rapin, nicht mehr hier sein.
»Worüber lachen Sie, Kollege?«, fragte ein Mitarbeiter, der gerade
eine Gewebeanalyse fertig stellte. Rapin drehte sich in die Richtung, aus der
er angesprochen worden war.
»Ich stelle mir gerade vor«, sagte er nachlässig, »was Test
Eins denken wird, wenn er aufwacht und unsere intelligenten Köpfe bemerkt.
Ist das nicht eine Überlegung wert?«
»Sie halten sich wohl für sehr geistreich, Rapin?«
Ein Mikrobiologe sah ihn an.
»Doch«, brummte Rapin verdrossen, »und ich hatte genügend
Gelegenheit, festzustellen, dass es für die Ansprüche Khorsabad Novas
völlig reicht.«
Das Schweigen, das sich daraufhin wie eine giftige Wolke ausbreitete, arbeitete
mit an der Errichtung einer Barriere, über die hinweg sich diese Männer
gegenseitig nicht mehr verständigen würden. Rapin grinste grimmig
in sich hinein. Test Eins war seit vier Wochen gewachsen – durch das Prinzip
des Lebens am Stiel. Die Zellen, die man aufgefangen und in biologisch identischer
Nährlösung aufzog, wuchsen wie ein Embryo. Sie waren aus dem Hirn
eines Säuglings herausoperiert worden – das Kind war heute schon ein
junger Mann. Aber das, was aus diesem winzigen Zellbündel geworden war,
lag hier in dieser Form. Unendlich viele, teilweise fehlgeschlagene Versuche
waren vorangegangen.
Vor einigen zehntausend Jahren kamen Ärzte der pharaonischen Ägypter
darauf, dass sich Zellen nur dann fortpflanzen oder teilen, wenn man sie innerhalb
des menschlichen Versorgungssystems halten konnte. Wenn sie zu ihrer Zeit einem
Menschen eine neue Nase gaben, gingen sie folgendermaßen vor: Sie trennten
aus der Haut der Wange einen Fleischlappen heraus und legten ihn auf den Knochen
des Nasenbeins. Aber immer noch hing diese Schicht an der Wange fest, innerhalb
der Blutgefäße und Nervenfasern. Erst, wenn sie an dem Knochen, gefördert
durch das Zusammenhängen mit lebender Haut, festgewachsen war, trennte
man diese Schicht ab. Das war Leben am Stiel.
So auch hier. Die Bauchwand des Androiden war der Teil, der ständig von
der Maschine versorgt wurde; um diesen Herd gruppierten sich die wachsenden
Zellverbände. Für einen Laien wäre es erschreckend gewesen, hätte
man ihm den wachsenden Test in den ersten Stunden gezeigt. Aber noch eines kam
hinzu. Test würde kein Mensch werden, er würde nichtmenschliches Gewebe
haben, kein knöchernes Stützgerüst und kein Blut, das die Haut
und die Organe versorgte. Test blieb nichtmenschliches Leben.
Rapin betrachtete den geschlechtslosen Körper des Androiden. Er schaltete
das Röntgengerät ein, das sich unter der Form befand. Als das Summen
des Schirmes anzeigte, dass sich das Gerät in Bereitschaft befand, wandte
er sich seinem Sichtschirm zu. Ein Handgriff – der Schirm erhellte sich.
Auch hier war nichts anderes zu sehen als das bekannte Knochengerüst des
Skeletts. Aber es waren keine »menschlichen« Knochen.
Die dauernde Beeinflussung der wachsenden Zellen hatte grundlegende Veränderungen
in ihnen hervorgerufen. Das Zellplasma war der tödlichen Bedrohung der
Gammastrahlen in einer Richtung ausgewichen, die zuvor von den Forschern bestimmt
worden war. Neunzehn Zwanzigstel des Plasmas waren eine Verbindung verschiedener
Säuren – der Zellkern bestand aus einer hochmolekularen Eiweißblase,
die bereits Keime zu anderen, noch weniger menschlichen Wesen in sich trug.
Die Zellhaut war Plastik Acht, eine völlige Neuschöpfung der Wissenschaft,
halbtransparent und in der Lage, jeglichen Vorgang der »normalen«
Zellen identisch vorzunehmen.
Schon an der Haut konnte man feststellen, dass sie anders war. Sie hatte die
Farbe, die ein Mensch erwarb, wenn er sich längere Zeit der Sonne
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