Das zweite Imperium der Menschheit
Fahrzeug seinen Weg fort, der großen Stadt entgegen.
Ein anderer Ort, eine andere Stunde: Der greise Jorge Andreatta sah kopfschüttelnd
seine Tochter an. Jean, schlank, schön und dynamisch, lehnte an einem Tisch
und betrachtete das Gepäck zu ihren Füßen. Ihre gepflegten Finger
schnippten die Asche der Narkorette in eine Schale, die vor viertausend Jahren
auf dem Tisch eines Herrschers in der Region des Rigel gestanden und wertvolles
Duftwasser enthalten hatte; ein Geschenk Garry Vipers. »Das werde ich nie
verstehen«, sagte der alte Mann. Die Jahre hatten seiner mächtigen,
untersetzten Gestalt wenig von ihrer Energie geraubt. Aber er wollte nicht mehr
aktiv sein – das war es. Er hatte ein Recht auf Ruhe und Frieden.
»Was verstehst du nicht, Dad?«, fragte seine Tochter behutsam.
»Du bist dreihundert Jahre alt, siehst bezaubernd aus, wie mit zwanzig
– und bist eine der fähigsten Biologinnen, die diese Welt außer
mir hervorgebracht hat.«
Er konnte diese Worte sagen, denn er wusste, dass er, Jorge Andreatta, zur absoluten
Spitze gehörte. Arroganz lag ihm fern – es handelte sich lediglich
um eine Feststellung der geliebten Tochter gegenüber. Andreattas Stimme
hatte sich erhoben.
»Warum – bei der ewigen Galaxis – hast
du nicht wie Milliarden anderer Mädchen geheiratet, dann hättest du
jetzt Kinder und einen guten Mann!«
»Die erste Vermutung will ich glauben, bei der zweiten finde ich zu viele
Fragwürdigkeiten. Die Männer, die ich kenne, sind zumeist alles andere
als das, was du als gut bezeichnest. Außer einem ...«
»Ich weiß«, sagte Andreatta mild, »außer Rapin Viper.
Du hast recht. Aber du bist dir nicht im Klaren darüber, dass du dich in
eine heikle Situation begibst. Es wird vermutlich nichts anderes dabei herauskommen
als Gefängnis oder Tod. Warum?«
Jean hörte die dringende Frage, schluckte und sah dann ihrem Vater voll
ins Gesicht. Sie drückte die Narkorette aus.
»Diese Frage kannst du selbst beantworten. Noch vor hundert Jahren wärest
du ohne Zögern mit mir gegangen. Es ist einfach so, dass wir Jüngeren
zum Handeln gezwungen werden, von etwas, was wir nicht kennen.«
»Ryan Capelt könnte es dir sagen. Er ist Psychologe.«
Mit einem Anfall von nutzlosem Trotz entgegnete Jean: »Bleib mir vom Halse
mit Psychologen! Ich kenne sie. Ich fühle mich gesund und normal. Was brauche
ich solche Seelenbohrer?«
»Es ist nicht zu fassen, in welchem Ton heute die Jugend mit ihren ehrwürdigen
Eltern spricht!«
Jorge lachte. Plötzlich war er wieder jung, so wie ihn seine Freunde und
seine Tochter liebten.
»Dazu kommt«, führte Jean lächelnd weiter aus, »dass
die Arbeit, die wir leisten werden, in spätestens zehn Jahren die Sachlage
entscheidend verändern wird. Der Kampf vor den Grenzplaneten dauert länger,
das wissen wir. Es steht zu viel Macht hinter den beiden Imperien.«
»Du hast recht. Aber ich glaube nicht, dass ihr diese Frist unentdeckt
überstehen werdet!«, brummte Andreatta.
»Lass dich überraschen, Dad. Iron McConell – du kennst ihn –
hat unsere Spuren verwischt. Niemand wird uns finden«, versprach Jean überzeugend.
»Wie lange dauert es noch, bis dieser Wagen kommt?«, fragte der alte
Biologe.
»Dreißig Minuten – warum fragst du?«, sagte Jean misstrauisch.
»Ich versuche auszurechnen«, sagte Andreatta und stand behände
auf, »ob ich noch immer so schnell bin, wie ich einmal war. Zum Beispiel
möchte ich wetten, dass ich innerhalb von fünfundzwanzig Minuten fertig
bin, um mit dir zu gehen und euch grünen Kindern zu zeigen, wie man Arbeit
richtig anpackt. Nimmst du einen alten Mann, der zufällig etwas von Biologie
versteht, noch mit?«
Jean stand erstarrt da. Dann fiel sie ihrem Vater um den Hals, Sie liefen, ihre
Sachen zu packen. Andreatta war tatsächlich in der Lage, fünf Minuten
vor Ankunft des Wagens fertig zu werden. Auch er brachte Wissen mit, das dem
Imperium fehlen und seinen Freunden nützen würde. Schließlich
klopfte es an ihre Tür. Grinsend stellte sich Andreatta in einen Winkel
des Zimmers, neben eine offene Tür, die in einen Nebenraum führte.
Seine Hand hielt einen schweren Laser. Der Lauf der Waffe zitterte nicht um
Millimeter.
»Wehe«, sagte er trocken und leise, »wenn jetzt der falsche Mann
anklopft. Dann gibt es wilde Dinge zu sehen.«
»Ja?«, rief die junge Frau.
Drei Sekunden voller Unsicherheit
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