Das zweite Königreich
Erik einen verheißungsvoll klimpernden Beutel. »Hier. Man weiß nie, was einem unterwegs so alles passiert.«
Erik verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. »Du hast genug für uns getan, Cædmon. Ich werde kein Geld von dir annehmen.«
»Du kannst es mir ja zurückzahlen, wenn du von deinem ersten einträglichen Raubzug … ich meine natürlich, deiner ersten einträglichen Kaufmannsfahrt zurückkommst.«
Erik erwiderte das breite Grinsen. »Weißt du, du kannst mich hundertmal einen Piraten nennen. Das beleidigt mich nicht.«
»Allein das sagt ja wohl alles.«
Das ist wahr, mußte Erik einräumen, antwortete aber lediglich: »Steck dein Geld weg. Ich will es nicht.«
Cædmon wandte sich an Hyld. »Dann nimm du es. Herrgott noch mal, es ist nicht viel. Und du hättest ein Anrecht auf eine anständige Mitgift gehabt.«
Sie nahm den Beutel mit einem Lächeln und küßte ihn auf die Wange. »Danke.«
»Hyld, ich will das nicht«, beharrte Erik störrisch.
Sie befestigte den Beutel an ihrem Gürtel. »Warum nicht? Er hat recht, weißt du, es steht mir zu. Beziehungsweise dir. Es ist kein Almosen, und Cædmon gibt es in Freundschaft. Also hör auf, dich zu zieren.«
Erik wandte sich mit komischer Verzweiflung an Cædmon. »So ist es immer. Sie hört einfach nicht auf mich.«
Cædmon verzog spöttisch den Mund. »Du wolltest sie haben, jetzt siehst du, wozu es führt, wenn ein Däne es mit einer englischen Frau aufnehmen will.«
Erik legte den Arm um die Schultern seiner Engländerin. »Es gibt im ganzen Norden keine, die ihr das Wasser reichen könnte.«
Cædmon betrachtete seine Schwester und seinen Schwager, sah den verliebten Blick, den sie tauschten, und fühlte gleichzeitig Neid und Hoffnung in sich aufsteigen. Wenn Hyld und Erik den generationenalten Haß zwischen ihren Völkern überwinden konnten, warum sollten dann Aliesa und er nicht die Unterschiede meistern können, die sie trennten? Gerade jetzt, da ihre beiden Völker so eng miteinander verknüpft werden würden, ob es ihnen nun gefiel oder nicht.
Er machte eine auffordernde Geste. »Nun reitet schon los, bald ist der halbe Tag um. Glückliche Reise. Möget ihr auf eurem Weg Freunde finden, die Führung der Engel und das Geleit der Heiligen.«
Er umarmte seine Schwester, ehe sie auf den Bock kletterte. Olaf lag warm eingepackt auf dem Wagen und schlief.
»Wann wirst du aufbrechen?« fragte Erik.
»Morgen.«
Der junge Däne nickte, zögerte einen Moment und streckte dann die Hand aus. »Auch dir eine glückliche Reise, Cædmon.«
Er schlug wortlos ein. Ihre Blicke trafen sich einen Moment, und sie tauschten ein unsicheres Lächeln. Ein Jammer, dachte Cædmon flüchtig. Unter anderen Umständen hätten wir Freunde werden können. Erik schwang sich in den Sattel, und der kleine Zug setzte sich in Bewegung. Cædmon sah ihnen nach, bis sie durchs Tor verschwunden waren. Er hörte Hyld auflachen, es klang schon fern.
»Gott schütze euch«, murmelte er, hauchte seine eiskalten Hände an und ging zurück ins Haus.
Nur sich selbst gestand er ein, daß er es kaum erwarten konnte, aus Helmsby wegzukommen. Die kühle Distanziertheit seiner Mutter trieb ihn ebenso fort wie der ungewohnte Respekt, den die Leute auf dem Gut und im Dorf ihm plötzlich zollten. Die Mägde umsorgten ihn wie Glucken, wenn er abends heimkam, brachten ihm das beste Stück Fleisch und das frischeste Brot und warfen ihm Blicke zu, die ihn beunruhigten und bis in seine ohnehin schon schweren Träume verfolgten. Selbst Ohthere, der Housecarl, der ihn und Guthric früher so großzügig mit Ohrfeigen bedacht hatte, wenn sie irgendeinen Unfug angestellt hatten, begegnete ihm mit einemmal voller Ehrerbietung, und Cædmon kam sich wie ein Hochstapler vor. Als hätte er Dunstan den Platz weggenommen, der ihm zustand.
Am meisten jedoch machten ihm die Lebensbedingungen in Helmsby zu schaffen, die ihm auf einmal so primitiv und bäurisch erschienen. Hier war das ganze Leben auf einen einzigen Raum beschränkt. In der Halle wurde gekocht, gegessen und geschlafen. Es gab keine Decken auf den klobigen Holztischen, die oft nur mäßig sauber waren. Einen einzigen, unbeschreiblich riechenden Abort draußen in der kleinen Holzbude für all die Menschen. Und längst nicht jeder wusch sich vor dem Essen die Hände.
Nachts fand er keine Ruhe, weil das Schnarchen der Schlafenden und das Keuchen der Liebenden von der hohen Decke zurückgeworfen wurden und zusammen ein wahres
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