Das zweite Königreich
somit eine Bedrohung. Womit wir zu Edgar Ætheling kommen. Sagt mir, was Ihr über ihn wißt!«
Cædmon schüttelte den Kopf. »Nur, was Wulfnoth mir erzählt hat. Er ist ein Großneffe unseres frommen König Edward. Sein Vater Edwardwuchs in Ungarn im Exil auf, unter dem Schutz des deutschen Kaisers. Vor zwanzig Jahren etwa kam dieser Edward mit seiner Familie nach England zurück, aber er … starb kurz nach seiner Ankunft hier.«
»Ihr meint, Harold Godwinson ließ ihn ermorden.«
»Das weiß niemand, Monseigneur.«
»Aber jeder vermutet es.«
Cædmon nickte unwillig. »Genau das hat Wulfnoth auch gesagt.«
William hob in gespielter Verwunderung den Kopf. »Man könnte beinah glauben, Euer Freund Wulfnoth liebt die Wahrheit mehr als seinen Bruder.«
»Ja. Ich glaube, so ist es.«
»Wie dem auch sei. Aus Harolds Perspektive war es eine politische Notwendigkeit. Wenn er damals insgeheim schon nach der Krone trachtete, war ein Erbe des angelsächsischen Königshauses das letzte, was er gebrauchen konnte.«
Cædmon sah ihn an. »Also wird Edgar Ætheling das Schicksal seines Vaters teilen? Weil ein Erbe des angelsächsischen Königshauses das letzte ist, was Ihr gebrauchen könnt?«
William hob kurz die Schultern. »Das werde ich wissen, wenn ich ihn und die englischen Lords gesehen habe.«
Er rief die Wachen und hieß sie, die englische Abordnung hereinzuführen.
Nicht nur der Erzbischof von York, die Earls von Mercia und Northumbria und der rechtmäßige Thronerbe waren zu William gekommen, sondern ebenso fünf weitere englische Adlige, und die Absicht ihres Besuches wurde offensichtlich, als sie alle, einschließlich des hohen Kirchenfürsten, vor dem Herzog der Normandie das Knie beugten.
Cædmon stand ein Stückchen abseits und betrachtete sie voller Beklommenheit. Es ist nicht richtig, dachte er trotzig. Das darf einfach nicht sein …
Der Erzbischof von York erhob sich unaufgefordert, und die anderen folgten seinem Beispiel.
»Im Namen der Stadtbevölkerung überbringe ich Euch Grüße und die Versicherung, daß London Euch offensteht, Mylord«, erklärte der Bischof steif.
Er war noch ein junger Mann für sein hohes Amt, Anfang Dreißig vielleicht. Unter seiner enganliegenden, traurigen Bischofsmütze stahlensich ein paar blonde Locken hervor. Weitaus jünger jedoch waren die beiden mächtigen Earls des Nordens. Cædmon hatte Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. Edwin of Mercia und Morcar of Northumbria konnten nicht älter als Anfang Zwanzig sein. Sie sahen einander auffällig ähnlich, hatten lange dunkle Haare, die ihnen glatt bis auf die Schultern fielen, und ihre Gesichter wurden von gewaltigen Raubvogelnasen beherrscht, die sie von ihrem Großvater Leofric geerbt hatten. Der Junge in ihrer Begleitung, der nur Edgar Ætheling sein konnte, war hingegen älter, als Cædmon angenommen hatte, wenigstens zwölf. Vermutlich hatte sich das Bild vom kleinen Prinzen Edgar in den Köpfen der Engländer ebenso wie der Normannen so nachhaltig festgesetzt, daß sie ihn noch als Greis den »kleinen Edgar Ætheling« nennen würden.
»Cædmon? Darf ich heute noch mit Euren Diensten rechnen?« fragte William schneidend.
Cædmon fuhr leicht zusammen. Einen furchtbaren Moment lang konnte er sich nicht erinnern, was der Bischof gesagt hatte. Aber es fiel ihm sogleich wieder ein, und er übersetzte getreulich.
William nickte, und das seltene Lächeln machte sein Gesicht so überraschend gutaussehend und sympathisch.
»Sagt dem ehrwürdigen Bischof, ich danke ihm für seine Worte und London für seine Gastfreundschaft.«
Cædmon übermittelte die Antwort.
Einer der jungen Earls, Edwin of Mercia, vermutete Cædmon, wandte sich an ihn. »Ihr seid Engländer, nicht wahr?«
»Ja, Mylord.«
»Werdet Ihr mir Euren Namen verraten?«
»Cædmon of Helmsby.«
»Oh. Ich kannte Euren Vater.«
»Er ist bei Hastings gefallen.«
»Ich weiß. Wie so viele gute Männer. Und so viele bei Stamford Bridge. Gott hat sich abgewandt von England und den Satan entfesselt, auf daß er über uns komme und sein Reich errichte …«
William sah Cædmon ungeduldig an.
»Der Earl of Mercia hat sein Beileid über den Tod meines Vaters bekundet, Monseigneur.«
»So vieler Worte bedarf es dafür in Eurer Sprache?«
»Wenn die Gefühle heftig genug sind, ja.«
»Sagt ihm, er möge zur Sache kommen!«
»Der Herzog heißt Euch willkommen, Mylords, und bittet mich, Euch zu fragen, was Ihr ihm zu sagen habt.«
Edwin sprach
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