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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Einzug in die Stadt. Es heißt sogar, sie wollen den kleinen angelsächsischen Prinzen auf den Thron setzen … wie heißt er doch gleich? At’eling oder etwas in der Art?«
    Cædmon mußte lächeln. »›Ætheling‹ ist ein Titel. Es heißt soviel wie junger Edelmann oder auch Prinz. Sein Name ist Edgar. Daher Edgar Ætheling.«
    »Wie auch immer. Es ist Irrsinn, Cædmon. Er ist ein Kind! Und die Lords in London ignorieren einfach, daß …« Etienne brach unvermittelt ab.»Daß sie ein besiegtes Volk sind?« hakte Cædmon nach.
    Etienne nickte wortlos.
    »Weiter. Nur zu, ich habe schließlich gefragt. Sag’s mir.«
    »Die Truppen des kleinen Edgar Ætheling fielen an der Brücke nach London über uns her und zogen sich erst zurück, als mehr als die Hälfte von ihnen gefallen waren. Das muß man den Angelsachsen wirklich lassen, weißt du, sie sind hitzköpfig und vielleicht töricht, aber verflucht tollkühn. Sie … haben mich jeden einzelnen Tag der letzten zwei Monate verblüfft.«
    Cædmon rieb sich kurz die Stirn. »O ja. Unsere Dichter schreiben mit Vorliebe lange Gedichte über unseren Mut der Verzweiflung …«
    »Herzog William beriet sich mit seinen Brüdern, meinem Vater, mit Rolands Vater und den anderen Adligen. Er sagt, der Schlüssel zu England liegt in London. Und natürlich hat er recht. Alle Handelswege, alle Nachrichtenverbindungen laufen dort zusammen. Aber die Stadt ist zu groß und zu gut befestigt, als daß ein direkter Angriff erfolgreich sein könnte, also hat er beschlossen, sie zu isolieren. Eine Schneise der Verwüstung um London zu legen, wie du sagst, und die Stadt von allem Nachschub und jeder Verstärkung abzuschneiden. Er fing damit an, daß er die kleine Stadt am südlichen Themseufer niederbrennen ließ, ich habe vergessen, wie sie heißt.«
    »Hieß.«
    »Komm, komm, sie werden sie schon wieder aufbauen. Das tun die Leute immer, wenn ihre Stadt niedergebrannt wird.«
    »Vielleicht. Der Ort heißt Southwark. Und ich habe ihn gesehen. Ich bin durchgeritten.« Schon von weitem hatte er es gerochen: brennendes Holz, Nässe, Fäulnis … so riecht der Krieg, hatte sein Vater gesagt. Und es sah tatsächlich so aus wie Metcombe nach dem Däneneinfall. Alles verkohlt, das Feuer hatte den Schnee geschmolzen und mit der Asche zu einem breiigen Schlamm verrührt, Kinder mit rußgeschwärzten Gesichtern standen weinend auf der Straße …
    »Es sah nicht aus wie ein Phönix, der sich noch einmal aus der Asche erheben will.«
    Etienne hob das Kinn. »Die Leute von Southwark verdanken ihr Schicksal der Halsstarrigkeit ihres Adels.«
    »Ja.«
    Das freimütige Eingeständnis besänftigte den jungen Normannen sofort wieder, und er beendete seinen Bericht mit wenigen, nüchternenWorten: Von Southwark aus hatte das normannische Heer einen Ring der Zerstörung um London gezogen und unterwegs so viel Angst und Schrecken verbreitet, daß zumindest Stigand, der umstrittene und doch einflußreiche Erzbischof von Canterbury, sich besonnen und die Seiten gewechselt hatte.
    »Vorgestern kam er zu Herzog William und erklärte feierlich, daß er nicht länger auf einer Krönung des kleinen Edgar Ætheling bestehen wolle. Sein Normannisch war exzellent. Ein überaus gebildeter Mann. Sag, Cædmon, ist es wirklich wahr, daß er von fünf verschiedenen Päpsten exkommuniziert wurde?«
    Cædmon hob ratlos die Schultern. »Kann sein. Ich weiß nicht viel über Stigand. Mein Vater hielt ihn für einen gefährlichen Ränkeschmied. Aber genau wie alle anderen Witan wollte er lieber einen englischen Ränkeschmied als einen normannischen Heiligen auf dem Bischofsstuhl von Canterbury.«
    Etienne grinste. »Wie dem auch sei. Mein Vater sagt, Stigands Wort hat Gewicht bei den englischen Lords, und jetzt, da er eingelenkt hat, werden die übrigen auch bald kippen.«
     
    Sie kippten am nächsten Tag.
    Cædmon kam aus dem Küchenzelt, wo er sich sein Frühstück geholt hatte, als Lucien de Ponthieu ihn abfing.
    »Da bist du also. Es ging ein Gerücht, du seiest wieder da.«
    Cædmon blieb stehen und betrachtete ihn. Er versuchte nicht vorzugeben, er sehe nicht auf den verstümmelten Arm. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß selbst die verstohlensten Blicke nicht unbemerkt blieben. Der Stumpf war lang genug, um nicht abzustehen; der Arm war unmittelbar über dem Ellbogen abgetrennt worden und hing senkrecht herab. Der Ärmel des nachtblauen Gewandes war säuberlich eingeschlagen und festgesteckt.
    »Es fällt kaum auf,

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