Das zweite Königreich
nicht glauben, daß William sie verhöhnte.
Aber noch ehe sie seine Worte so recht in sich aufnehmen konnten, fuhr der Erzbischof fort: »Ich vertraue darauf, daß diese Zusage Eurer Fürsorge auch für dieses unschuldige Kind gilt. Daß er nicht um sein Leben fürchten muß, wenn er Euch aufrichtig Gefolgschaft schwört.« Er wies mit einer knappen Geste auf den angelsächsischen Prinzen, der sehr viel blasser und stiller geworden war, seit Cædmon ihm so unverblümt eröffnet hatte, wie es um ihn stand. Mit bangen Kinderaugen hing er an den Lippen des Herzogs, während Cædmon übersetzte.
William erwiderte den Blick des Jungen kühl, mit derselben Gleichgültigkeit, mit der der Fuchs das Huhn ansieht. Doch dann verzogen seine Mundwinkel sich für einen Augenblick nach oben. »Ihr glaubt im Ernst, ich würde meine Hände mit dem Blut eines unschuldigen Kindes beflecken? Seid unbesorgt. Ich bin ein Christenmensch, kein Godwinson. Edgar Ætheling soll nicht das Schicksal seines Vaters erleiden.« Er unterbrach sich kurz und warf Cædmon einen spöttischen Blick zu. »Vielmehr soll er mir als Gast an meinem Hof willkommen sein. An meinem Hof in Rouen, versteht sich.«
Cædmon wiederholte seine Worte getreulich. Als der junge Edgar sein Urteil vernahm, verlor er für einen Moment die Fassung. Seine trotzige, eiserne Haltung geriet ins Wanken, und er krallte eine Hand in den Mantel des Bischofs.
»Hab keine Furcht«, fügte Cædmon nahtlos an seine Übersetzung an. »Ich war lange dort. Es ist kein schlechter Ort, und du wirst nicht der einzige Engländer dort sein.«
Der Erzbischof lächelte ihm dankbar zu. »Gott steh Euch bei, Cædmon of Helmsby, Ihr habt ein zu weiches Herz, um der Mund dieses Ungeheuers zu sein. Und nun seid so gut und fragt Seine Gnaden, wann er seine erbeutete Krone auf sein verfluchtes Haupt zu setzen wünscht und ob meine unwürdigen Hände ihm für diesen Anlaß ausreichen oder ob er seinen Komplizen, den Papst, zu dem Zweck nach Westminster bitten will …«
In der dritten Adventwoche zogen die Normannen in London ein. Die Stadtbevölkerung säumte die Bridge Street und die Thames Street, den ganzen Weg nach St. Paul, um sich den langen, prächtigen Zug fremdländischer Edelleute und Soldaten anzusehen. Es wurde nicht gejubelt, aber es flogen auch keine Kohlköpfe. Die Leute von London sahen den Tatsachen ins Auge. Sie wußten, sie konnten froh sein, einer Belagerungund Plünderung entgangen zu sein. Eine Abordnung der Kaufmannsgilden und Zünfte hieß William willkommen und versicherte ihn der Ergebenheit ihrer Stadt, und am Weihnachtstag wurde William der Bastard, den sie in England den Eroberer nannten, in Westminster gekrönt.
Die steinerne Klosterkirche, deren Bau der fromme König Edward so viele Jahre seines Lebens gewidmet hatte, war ein prachtvolles, reich geschmücktes Bauwerk mit einer Unzahl kleiner Rundbogenfenster, dicken, hellen Sandsteinmauern und einer kostbaren Glocke mit einem wunderbar warmen Geläut, aber sie war nicht sonderlich groß. Die normannischen Adligen und Offiziere und die englischen Lords und Thanes füllten den wenigen Raum und standen dicht gedrängt. Die Leute von Westminster und die Schaulustigen, die so zahlreich aus dem benachbarten London gekommen waren, tummelten sich draußen auf dem Vorplatz und in den Gassen des Städtchens. Die Soldaten der Wache hatten den Zugang zur Kirche abgeriegelt und drängten das Volk rüde zurück.
Cædmon und Etienne hatten sich unerlaubt in die Kirche geschlichen. Sie standen nahe des Westportals und wurden Zeugen einer Zeremonie, die offenbar bis ins letzte Detail geplant und ausgeklügelt war. Natürlich verstanden sie kein Wort der langen, lateinischen Krönungsmesse, doch der feierliche Ernst erfüllte sie mit Ehrfurcht, und als der Erzbischof dem in golddurchwirkten Gewändern gekleideten William die altehrwürdige Krone der angelsächsischen Könige aufs Haupt setzte, kam es ihnen vor, als würden sie Zeugen einer Verwandlung. Mit eigenen Augen sahen sie, wie aus einem Herzog ein König wurde. So erhaben wirkte er, so verändert, als sei die göttliche Gnade, die er für sich in Anspruch nahm, mit dem Augenblick seiner Salbung offenbar geworden.
Cædmon ließ den Blick über die Gesichter der englischen Lords schweifen und erkannte, daß sie das gleiche sahen wie er. Hoffnung leuchtete in ihren Augen, in manchen gar Ergebenheit. Und als der Bischof von Coutances und der Erzbischof von York sich an
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