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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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»Nachdem Alfred den dänischen König Guthrum besiegt hatte, schloß er einen Vertrag mit ihm und überließ ihm und seinem Volk die nordöstliche Hälfte von England.«
    »Warum?« fragte Rufus verständnislos. »Warum hat er sie nicht zum Teufel gejagt, wenn er sie doch besiegt hatte?«
    Genau diese Frage hatte Cædmon auch gestellt, als sein Vater ihm die Geschichte zum erstenmal erzählt hatte. Und erst Wulfnoth hatte ihm eine befriedigende Antwort gegeben. Er verdankte Wulfnoth überhaupt das meiste dessen, was er den dreizehn- und vierzehnjährigen Söhnen des Königs heute über englische Geschichte und Gebräuche beizubringen versuchte.
    »Die Dänen hatten schon angefangen, in England Wurzeln zu schlagen. Und Alfred war der Ansicht, wenn es gelänge, friedlich miteinander zu leben, könnte das für beide Seiten von Nutzen sein. Er wollte eine Flotte bauen, und die Dänen verstanden sich auf den Schiffsbau. Er wollte den Handel mit dem Kontinent ausweiten, und auch da hatten und haben sie die Nase vorn. Vor allem wollte König Alfred Frieden in England und Glück und Wohlstand für sein Volk.«
    Sie saßen auf der Wiese hinter der prachtvollen königlichen Halle von Winchester, die auf einer seichten Anhöhe stand, so daß man von hieraus das neue und das alte Kloster der Stadt sehen konnte. In beiden läutete die Glocke zur Vesper. Es war ein herrlich warmer Frühlingstag, und Cædmon genoß die Sonne im Gesicht. Bei der Niederschlagung der Rebellion in Lincoln im letzten Jahr hatte er eine tiefe Wunde an der linken Schulter davongetragen, die ihm immer noch gelegentlich zu schaffen machte, und er spürte, daß die Wärme ihr guttat.
    »Aber wenn König Alfred mit den Dänen einen Vertrag geschlossen hat, stand das Land ihnen zu. Wie konnten Alfreds Nachfolger sie einfach vertreiben?« fragte Richard.
    »Pah.« Rufus schnaubte verächtlich. »Ein scharfes Schwert ist ein besseres Argument als Worte auf Pergament.«
    Und das, befand Cædmon, war ein typisches Beispiel für die grundsätzliche Verschiedenheit seiner beiden Schüler. Richard versuchte immer, die Dinge von allen Seiten zu betrachten, und ging ihnen gern auf den Grund. Manchmal machte er sich das Leben dadurch unnötig schwer. Rufus hingegen war gelegentlich zu vorschnell in seinem Urteil, denn er zerbrach sich nicht gern den Kopf. Rufus fiel das Lernen leichter, er hatte die fremde Sprache erstaunlich mühelos begriffen und machte kaum noch Fehler. Es war beinah, als habe er ein angeborenes Gespür dafür; fast instinktiv fand er sich in dem ungewohnten Gewirr ihrer komplizierten, hoffnungslos unlogischen Grammatik zurecht. Richard hingegen mußte überlegen, ehe er die richtige Verbform fand, und hatte kein so gutes Gedächtnis für die fremden Worte, und trotzdem war sein Wortschatz vermutlich doppelt so groß wie Rufus’, einfach weil er so viel mehr Wörter brauchte, um seine so viel komplizierteren Gedankengänge auszudrücken.
    »Was hätte Euer Vater wohl an Stelle von Alfreds Söhnen getan?« fragte Cædmon.
    »Er hätte die Dänen davongejagt«, sagte Richard.
    »Und bei der Gelegenheit gleich Dänemark erobert«, fügte Rufus grinsend hinzu.
    Richard bedachte seinen jüngeren Bruder mit einem mißfälligen Stirnrunzeln und warf Cædmon einen zerknirschten Blick zu. Cædmon zwinkerte ihm zu, um ihm zu zeigen, daß er nicht ärgerlich war. Und das war er auch nicht. Denn wenn Rufus taktlos war, dann nicht aus Bosheit, sondern aus Gedankenlosigkeit.
    »Vielleicht werden wir bald Gelegenheit haben festzustellen, was euer Vater im Fall eines Däneneinfalls tut«, bemerkte er beiläufig.
    Rufus winkte ab. »Das alte Märchen von der Wikingerflotte. Ewig wird sie vorhergesagt, aber sie kommt nie.«
    »Das haben die Angelsachsen auch geglaubt, bevor Harald Hårderåde von Norwegen mit dreihundert Schiffen den Humber hinaufkam«, gab Cædmon trocken zurück.
    »Du denkst, die Dänen kommen wirklich?« fragte Richard. Er klang nicht besorgt. Beide Jungen lebten in der unbekümmerten Überzeugung, daß keine militärische Herausforderung ihrem Vater je etwas anhaben konnte.
    »Gut möglich, ja.« Cædmon beunruhigte die Vorstellung weitaus mehr als die beiden Prinzen, aber das ließ er sich nicht anmerken. »Zurück zu Alfred. Sein zweites großes Anliegen war die Verbreitung des Christentums. Er wollte, daß es tiefe Wurzeln in England schlug. Und zu dem Zweck …«
    »Oh, heilige Jungfrau, da kommt Lucien de Ponthieu«, fiel Rufus ihm raunend

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