Das zweite Königreich
Also, manchmal muß man sich wirklich fragen, wo die Gerüchteköche ihre Zutaten hernehmen. Margaret kommt auf ihren frommen Onkel, König Edward, Etienne. Wenn es je eine Braut Christi gab, dann sie. Sie muß ungefähr so alt sein wie wir. Und ich erinnere mich, als ich noch ein Bengel war, nannten sie sie schon eine Heilige. Ich bin sicher, sie hat längst die Gelübde abgelegt.«
Etienne schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. »Hat sie nicht. Aber du hast recht, sie war felsenfest entschlossen. König Malcolm hat sich monatelang an ihrer Sturheit den Schädel eingerannt. Dann war er es satt. Erzbischof Aldreds Informant sagt, Edgar Ætheling habe vor der Tür gestanden und jeden fortgescheucht, der seiner schreienden Schwester zu Hilfe kommen wollte … Jedenfalls heiraten sie nächsten Monat.«
»Schande über dich, Edgar Ætheling«, murmelte Cædmon.
Etienne nickte. »Und über König Malcolm. Gott allein weiß, was sie im Schilde führen. Solange sie dort oben im rauhen Schottland zusammenhocken und Ränke schmieden, wird es im Norden keine Ruhe geben, darauf wette ich. Und Edwin of Mercia ist aus Rouen geflohen, wußtest du das?«
Cædmon nickte. Er hatte in den Straßen von Winchester ein Gerücht gehört, der junge Edwin of Mercia sei heimgekehrt und sammle seine einstigen Housecarls um sich. »Aber Edwin wird Edgar Ætheling nicht unterstützen, dafür kennt er ihn zu gut.«
»Vielleicht nicht, aber auf jeden Fall wird er versuchen, Unruhe zu stiften. All diese sogenannten englischen Helden tun ihrem Volk letztlich keinen großen Gefallen, Cædmon.«
»Nein, ich weiß.«
»Und wenn die Dänen tatsächlich kommen und Edwin sich ihnenanschließt …« Er brach ab und erhob sich lächelnd. »Madame … du siehst hinreißend aus.«
Cædmon folgte seinem Beispiel, stand auf und wandte sich um.
Aliesa hatte sich überhaupt nicht verändert. Mit achtzehn wirkte sie noch genauso mädchenhaft wie an dem Tag vor beinah genau fünf Jahren, als er sie zum erstenmal gesehen hatte. Ihre Kleider waren heute eine Spur ausgefallener als früher, und sie trug dezenten, aber teuren Schmuck. Etienne schien ein unstillbares, fast kindliches Vergnügen daran zu finden, seine schöne Frau zu schmücken. Ihr Kopf war mit einem leichten Tuch bedeckt – couvre-chef genannt –, wie es sich für eine verheiratete Frau gehörte. Es wurde von einem schmalen Goldreif in der Stirn gehalten und reichte ihr nur bis auf die Schultern, so daß die schwarzen Flechten darunter hervorwallten. Sie küßte ihren Mann lächelnd auf die Wange und legte leicht die Hand auf seinen Arm. Sie waren ein perfektes Paar. Und wie hätte sie ihn nicht lieben können? Etienne war ein so ungewöhnlich gutaussehender Mann, geistreich, großzügig und – so entrüstet er es auch bestritten hätte – beinah sanftmütig. Ein vollkommener junger Edelmann und Ritter. Sie hätte es wirklich nicht besser treffen können.
Und trotzdem riß es Cædmon schier das Herz aus dem Leib zu sehen, wie sie ihren Mann auf die Wange küßte.
Mit einem warmen Lächeln wandte sie sich an Cædmon. »Wie schön, daß Ihr hier seid, Thane.«
Er verneigte sich höflich. »Willkommen in Winchester, Aliesa.«
»Etienne hat unterwegs etwa alle zwei Meilen gesagt, ›Hoffentlich ist Cædmon bei Hofe‹. Ich hätte seine üble Laune ertragen müssen, wenn Ihr ihn enttäuscht hättet.«
Er lächelte schwach. »Die Gefahr war nicht groß. Ich bin ja praktisch immer hier. Wenn ich gelegentlich nach Helmsby komme, fallen meine eigenen Hunde mich an wie einen Einbrecher.«
Aliesa setzte sich zu ihnen, und sie unterhielten sich und scherzten unbeschwert, und niemand hätte ahnen können, daß Cædmon nichts anderes wirklich wahrnahm als nur ihren Anblick und ihren Duft.
Nach und nach füllte sich die Halle, und bei Einbruch der Dämmerung wurde aufgetragen. Das große Hufeisen der Tische war gut besetzt. Es war nicht mehr so voll wie zu Ostern, als König William so prachtvoll Hof gehalten hatte, daß man Gefahr lief, vom Gold und Silber der Tafel geblendet zu werden, aber auch jetzt war einiger Betrieb. Englische undnormannische Adelige mit ihren Frauen, Williams Ritter, Bischöfe, Priester und Mönche, all die vielen Menschen, die das große Reich dies- und jenseits des Kanals verwalten halfen, fanden häufig Grund, sich bei Hofe einzufinden.
Das Essen war reichhaltig, aber nicht verschwenderisch: Kalbsbraten mit zartem, jungem Gemüse, außerdem Hirschragout, denn
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