Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
Haare, die einen Teil des Gesichts verdeckt hatten, fielen zurück und entblößten eine langgezogene, frische Schnittwunde auf seiner Wange. Dunkle, graueAugen blickten Cædmon unverwandt an. Dieser wagte nicht, näher zu treten, ihm graute davor, in den Augen des anderen einen Ausdruck von Hohn oder Triumph zu entdecken, wenn er ihn hinken sah.
    »Erik … Ist das dein Name? Kannst du mich verstehen?«
    Der junge Däne nickte. »Du mußt langsam sprechen.« Er hatte eine unerwartet sanfte, angenehme Stimme.
    Aber Cædmon hatte ihm nichts zu sagen. Er hatte sich gewünscht, den Mann zu töten, der ihn zum Krüppel gemacht hatte, aber jetzt, da er ihn vor sich sah, schien die Vorstellung vollkommen irrsinnig. Er hatte sich ein johlendes, bärtiges Ungeheuer mit einem gehörnten Helm vorgestellt, ein langes, blutverschmiertes Schwert in einer fleischigen Faust, eine Streitaxt in der anderen. Nicht das hier.
    »Hast du … hast du mich wirklich angeschossen?«
    »Ja. Es ist … schwierig, von einem fahrenden Schiff auf ein …«, er suchte nach dem Wort, »auf ein bewegliches Ziel zu schießen. Ich wollte dich töten.«
    »Warum?«
    »Um zu verhindern, daß du … warnst.«
    Cædmon nickte langsam und fragte sich einen finsteren Augenblick lang, ob es nicht für sie beide besser gewesen wäre, wenn Erik ihn mitten ins Herz getroffen hätte. »Aber was hattet ihr hier zu suchen? Was wollt ihr nur immerzu von uns?«
    Erik verzog verächtlich einen Mundwinkel. »Jedes Land gehört dem, der es zu erobern vermag. Und wer sein Land nicht verteidigen kann … hat es verwirkt. So wie der eifrige Beter, den ihr … auf den Thron gesetzt habt …«
    Einer seiner Gefährten fuhr ihn scharf in einer Sprache an, die für Cædmons Ohren hart und unmelodisch klang, der seinen aber doch so ähnlich war, daß er die Worte »genug« und »vorsichtig« verstand.
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Ihr wart nichts weiter als Piraten. Euer König hat euch nicht geschickt.«
    »Nein.« Eriks Augen wurden glasig. »Nein, nicht … geschickt.« Die Augen fielen zu.
    Cædmon wandte sich abrupt ab und trat ins Freie. »Ich will, daß Dunstan ihn zufrieden läßt.«
    Guthric war ihm gefolgt. »Da sehe ich schwarz.«
    Cædmon blieb vor ihm stehen und rammte wütend seinen Stock in die nasse Erde. »Aber von Rechts wegen sollte er mir gehören.«
    Guthric breitete kurz die Arme aus. »Dann sprich mit Vater. Auf dich hört er doch hin und wieder. Fordere dein Recht, ich kann mir nicht vorstellen, daß er es dir abschlägt.«
    Cædmon ging ein Licht auf. »Deswegen hast du mich hergebracht, oder? Dieser verfluchte dänische Misthund tut dir leid.«
    Guthric schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ich habe dich hergebracht, damit du weißt, wie die Dinge liegen.«
    »Aber du willst doch, daß ich dafür sorge, daß Dunstan ihn zufriedenläßt.«
    Guthric wandte den Blick ab. Er starrte in den Schatten am Fuße der Hecke und sagte leise: »Dunstan ist ein Ungeheuer, Cædmon.«
    »Dunstan ist unser Bruder. Wieso soll ich nicht glauben, daß er es für mich getan hat?«
    »Weil du es in der Regel lieber mit der Wahrheit hältst.«
    Cædmon wandte sich wütend ab. »Ich würde sagen, dieser dänische Pirat ist das Ungeheuer. Er ist ohne jedes Recht über unsere Küste hergefallen. Und über Metcombe. Und über mich.«
    »Ich bin nicht so sicher, daß er eine Wahl hatte. Sein Onkel befehligte das Schiff. Der Onkel ist tot. Ebenso zwei von Eriks Vettern. Was würdest du tun, wenn Vater von dir verlangte, mit ihm auf einen Raubzug gegen Dänemark zu segeln?«
    »Das würde ihm im Traum nicht einfallen.«
    »Insofern hast du es leicht mit deinem Urteil.«
    Cædmon schnaubte. »Nimm dein Messer, Guthric. Ramm es dir ins Bein. Schneide dir die Sehnen durch, oder was immer es ist. Mach einen Krüppel aus dir. Dann reden wir weiter.«

Helmsby, April 1064
    Der Frühling war gekommen, die dunklen Monate der Untätigkeit und des Eingesperrtseins endlich vorbei und alle Felder bestellt. An einem für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Tag kurz nach Ostern ritt Ælfric mit Dunstan und zwölf seiner Männer nach Metcombe zum Gerichtstag, der regelmäßig alle vier Wochen dort abgehalten wurde und wo dieses Mal die Bauern des Dorfes durch Eid ihr Land dem Thane of Helmsby übereignen sollten. Cædmon hatte ebenfalls mitkommen sollen,doch er hatte behauptet, sein Bein schmerze heute zu stark für den weiten Ritt. Es war gelogen. Er hatte längst keine Schmerzen mehr.

Weitere Kostenlose Bücher