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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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die Wahrheit zu sagen, ich habe mir die Frage auch schon ein paarmal gestellt. Denn hätte es mich erwischt, hätte Vater mir bestimmt erlaubt, ins Kloster zu gehen.«
    Cædmon lachte leise, verlagerte absichtlich sein ganzes Gewicht auf das linke Bein und fühlte mit einem distanzierten Interesse, wie es einknickte. Er fiel zu Boden und schlug sich den Ellbogen auf. Beinah verspürte er eine Art Genugtuung, als das schwache Brennen sich bemerkbar machte. Er setzte sich auf und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Oh, wenn ich diesen verfluchten Dänen nur in die Finger bekommen könnte …«
    Guthric hatte sich wieder eine Handvoll Stroh genommen und setzte die Arbeit fort. Hin und wieder sah er auf den gebeugten, reglosen Rücken seines Bruders, und der Anblick verursachte in ihm eine eigentümliche Beklommenheit, beinah ein leises Grauen. Als er dem Wallach Wasser und Heu gebracht hatte, fragte Guthric schließlich: »Und was würdest du tun, wenn du ihn in die Finger bekämest?«
    Cædmon ließ die Hände sinken und hob ungeduldig die Schultern. »Ich glaube, darüber möchte ich lieber nicht reden.«
    Guthric trat aus der Box des Wallachs und klopfte seinem Bruder im Vorbeigehen leicht auf den Rücken. »Komm mit, Cædmon. Ich will dir was zeigen.«
     
    Guthric führte ihn aus dem Stall, vergewisserte sich, daß ihr Vater nirgendwo in der Nähe war, und huschte an der Hecke entlang zum nördlichen Teil des Innenhofs. Es war Nachmittag, und so früh im Jahr stand die Sonne noch tief; die Hecke warf lange Schatten.
    »Komm schon«, raunte Guthric.
    »Wohin gehen wir?« fragte Cædmon, ungehalten und doch neugierig. »Zum Brauhaus.«
    Es war ein kleines Holzgebäude wie alle anderen im Hof, das jedoch nur selten benutzt wurde. Bier wurde immer für etwa zwei Monate gebraut, die vollen Fässer nicht hier, sondern in einem der verschließbaren Vorratshäuser aufbewahrt.
    Vor der Tür stand ein Mann.
    Guthric nickte höflich. »Ohthere.«
    Der Housecarl erwiderte das Nicken. »Wollt ihr rein?«
    »Wenn du so gut sein willst. Und wenn du dichthältst.«
    Ohthere hob gleichmütig die Schultern. »Macht ausnahmsweise keinenUnfug.« Er wandte sich zur Tür, zog den schweren Riegel zurück und stieß sie auf. Dann winkte er die beiden Jungen hindurch.
    Cædmon folgte Guthric zögerlich. »Was zur Hölle wollen wir hier?« Guthric trat vor ihm in den dämmrigen, fensterlosen Raum. Cædmon folgte. Zuerst nahm er nichts wahr als einen intensiven Hefegeruch. Dann erkannte er ein paar schemenhafte Gestalten.
    »Da, Cædmon. Das ist der Pirat, der dich angeschossen hat.«
    Vier Männer saßen auf dem feuchten, lehmigen Boden. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt, blinzelten gegen das Licht, das plötzlich durch die geöffnete Tür hereinströmte, und sahen dann unbewegt zu ihnen auf. Drei waren blond, einer dunkel. Die Haare hingen ihnen offen bis auf die Schultern, die beiden älteren trugen kurze Bärte. Ihre gürtellosen Gewänder und Hosen waren besudelt und zerrissen, aber aus guter Wolle, erkannte Cædmon, braun oder gar schwarz gefärbt, dunkler als die Kleidung, die Angelsachsen in der Regel trugen. Was immer sie an Schuhwerk besessen haben mochten, hatte man ihnen abgenommen.
    Der fünfte Mann lag reglos am Boden. Er hatte die Augen geschlossen, aber die Lider zuckten, er war wach. Sein entblößter Rücken war mit Striemen übersät. Getrocknetes Blut entstellte sein bartloses Gesicht, die Nase war gebrochen. Füße und Waden waren schwärzlich blau von Blutergüssen und grotesk geschwollen. In seinem ganzen Leben hatte Cædmon noch keine so geschundene Kreatur gesehen.
    Er wandte sich ab. »O mein Gott …«
    »Vater hat sie alle prügeln lassen«, sagte Guthric hinter seiner linken Schulter. »Bis der hier schließlich zugab, auf euch geschossen zu haben. Ich denke, das hätte ich an seiner Stelle auch getan, ganz gleich, ob’s stimmt oder nicht, aber genug ist genug. Jedenfalls, nachdem die Männer ihn endlich in Ruhe ließen, hat Dunstan ihn sich vorgenommen. Und verbringt seither beinah jede freie Minute bei ihm. Ehrlich, Dunstan hat eine echte Schwäche für unseren Erik entwickelt. Und ich könnte mir denken, wenn du Erik hier nach seiner Meinung fragst, wird er dir sagen, die Hölle ist in Helmsby.«
    Der Mann schlug die Augen auf, als er seinen Namen hörte, und Cædmon erkannte, daß der Däne nicht viel älter war als er selbst, siebzehn höchstens. Erik bewegte den Kopf, und die dunklen

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