Das zweite Königreich
und stöhnend auf der Dorfwiese, daß sie das Schiff nicht mehr hatten bemannen können.
Langsam steckte Cædmon sein Schwert in die Scheide, schloß für einen Moment die Augen und ergab sich seinem Triumph. Er hatte bis heute nicht gewußt, wie berauschend ein Sieg sein konnte, wie er das Blut in Wallung brachte. Bislang hatte er immer nur die Schlachten seines Königs geschlagen – immer gegen Engländer –, hatte getan, was er sagte, war ihm gefolgt wie ein Schatten, um seinen Rücken zu decken, oder war gegangen, wohin er ihn schickte. Dies hier war sein erster eigener Sieg. Und er war süß.
Aber er gestattete sich nur einen Moment, das Gefühl auszukosten, ehe er sich besorgt umwandte. »Alfred?«
Sein Vetter ritt ein paar Längen vor und hielt neben ihm an. »Wir waren gar nicht mal so schlecht, oder?« Er keuchte leise.
»Wo hat es dich erwischt?«
»Am Bein. Blutet ziemlich, ist aber nicht schlimm.«
Cædmon war nicht gewillt, das so unbesehen zu glauben. Er wendete Widsith. »Reiten wir heim. Fünf Mann bleiben hier. Ich glaube nicht, daß die Dänen wiederkommen, aber sicher ist sicher. Los.«
»Thane«, murmelte eine gepreßte Stimme in der Nähe.
Cædmon hob den Kopf. »Ohthere? Bist du verletzt?«
»Nein.« Der altgediente Housecarl seines Vaters trat mit hängendem Kopf vor ihn und streckte ihm zögernd die Hand entgegen. »Wir haben das hier am Ufer gefunden.«
Cædmon erahnte eine Waffe in seiner Hand und nahm sie. Es war ein schmales, normannisches Jagdmesser mir einer matten Stahlklinge und einem geriffelten Elfenbeingriff. Cædmon erkannte es sofort. Schließlich hatte er selbst es seinem Bruder geschenkt.
Er schloß für einen Moment die Augen. »Eadwig … O mein Gott, Eadwig …«
»Er muß sich uns heimlich angeschlossen haben«, mutmaßte Ohthere erstickt. »Seit Wochen hat er davon gefaselt, er wolle dabeisein, wenn wir die Dänen zurückschlagen.«
Cædmon nickte. Eadwig hatte ihm unentwegt damit in den Ohren gelegen, und Cædmon hatte es ebenso hartnäckig abgelehnt, seine Bitte auch nur zu erwägen. Mit einemmal spürte er eine beinah übermächtige Übelkeit.
»Durchsucht das Dorf«, brachte er tonlos zustande. »Vielleicht liegt er irgendwo verwundet …«
Die Männer schwärmten ohne zu zögern aus und machten sich auf die Suche. Aber sie fanden keine Spur von Eadwig. Einer nach dem anderen kehrte unverrichteter Dinge zurück.
Cædmon saß reglos im Sattel, den Kopf tief gesenkt.
Alfred berührte ihn schließlich behutsam am Arm. »Wir können nichts tun, Cædmon«, sagte er leise. »Sie haben ihn mitgenommen.« Obwohl er selbst so gut wie jeder andere Mann wußte, daß es sinnlos war, befahl Cædmon, das Drachenschiff zu verfolgen. Er konnte einfach nicht tatenlos hinnehmen, daß sein Bruder verschleppt worden war, dem er doch hoch und heilig versprochen hatte, ihn zu beschützen. Und vor allem konnte er den Gedanken nicht ertragen, daß er Eadwig nie wiedersehen sollte. Denn die Dänen machten keine Gefangenen, um sie ihren Familien gegen Lösegeld zurückzugeben, wie es auf dem Kontinent üblich war. Sie nahmen sie mit zu einem ihrer großen Handelsplätze und verkauften sie in die Sklaverei.
Er trieb Widsith gnadenlos den Uferpfad entlang und hatte seine Männer bald abgehängt. Aber er holte die Dänen nicht mehr ein. Wenn sie alle Ruder besetzt hatten und mit der Strömung trieben, waren sie schneller als das beste Pferd. Als selbst das ausdauernde normannische Schlachtroß ausgepumpt zu keuchen begann, hielt Cædmon an. Erstarrte auf das schwärzliche, glitzernde Band des Flusses hinaus, lauschte dem leisen Plätschern am Ufer und weinte um seinen Bruder.
Im ersten grauen Licht des anbrechenden Tages ging er zu seiner Mutter, gleich nach seiner Rückkehr. Marie war schon auf und angezogen, das fast schwarze Kleid und passende Tuch, das auch ihren Hals bis zum Kinn umschloß, perfekt und makellos wie immer.
Sie sah sogleich an seinem Gesicht, daß es etwas Entsetzliches war, das ihn zu ihr führte, und sie legte eine ihrer mageren, schneeweißen Hände um den Bettpfosten.
»Eadwig?«
Cædmon nickte. »Er ist heimlich mit uns geritten. Gott helfe mir, ich habe es nicht gewußt, Mutter. Ich hätte nie geglaubt, daß er so etwas tun würde …«
Sie schloß die Augen. »Ist er tot?«
»Nein.«
Sie riß die Augen wieder auf. »Wo ist er …«
»Sie haben ihn mitgenommen.«
Sie starrte ihn fassungslos an, ließ den Bettpfosten los und ballte beide
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