Das zweite Königreich
nein«, sagte Cædmon.
»Also, wer ist es?«
»Harold Godwinson, Vater.«
Ein verwundertes Aufraunen ging durch die Gruppe der Housecarls. Ælfric riß die Augen auf. »Was in Gottes Namen …« Er unterbrach sich, schien einen Moment tief in Gedanken versunken und nickte dann. »Kommt. Wir wollen ihn nicht länger als nötig warten lassen.«
Sie kehrten auf dem kürzesten Weg zur Halle zurück. Ælfric sprang vom Pferd, warf einem der Männer die Zügel zu und eilte die Stufen zu seinem Haus hinauf. Dunstan, Cædmon und Guthric folgten ihm.
Harold Godwinson saß mit seinen Männern und Marie am Tisch, vor sich einen großen Becher. Eine Platte mit Brot und kaltem Wildbret war aufgetragen worden. Als Harold Ælfric eintreten sah, erhob er sich. Ælfric ging mit langen Schritten auf ihn zu, blieb dicht vor ihm stehen, und die beiden Männer packten sich bei den Unterarmen.
»Harold. Welch eine Ehre für mein bescheidenes Haus.«
Godwinson lachte leise und umarmte ihn kurz. »Wie gut es tut, wenigstens ab und zu zu erleben, daß Harold Godwinson einem englischen Thane noch willkommen ist.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Welchem aufrechten Mann in England könntest du unwillkommen sein?«
Godwinson zog eine ironische Grimasse. »Du würdest staunen … Aber reden wir lieber über dich. Ich höre, ihr hattet Ärger mit dänischen Piraten?«
Ælfric nickte, und sie setzten sich nebeneinander auf die Bank. Marie winkte einer Magd zu, mehr Bier zu bringen.
Ælfric scheuchte seine drei Söhne, die unentschlossen in der Nähe standen, mit einem Wink fort. »Schert euch raus. Vor dem Essen will ich keinen von euch sehen.«
In der Halle von Helmsby wurde meist gegessen, ehe die Sonne unterging. Wenn es dunkel wurde, gingen die Leute schlafen.
Für gewöhnlich war das Essen eine fröhliche, lautstarke Angelegenheit; die Housecarls und ihre Familien versammelten sich ebenso wie die Mägde und Knechte des Guts an den beiden langen Tischen. Die Köchin füllte die Schalen aus dem großen Kessel über dem Feuer mit Eintopf, Brotlaibe wurden herumgereicht, und jeder brach sich ein Stück ab. Hunde tollten im Stroh am Boden und rauften um die Knochen, die ihnen zugeworfen wurden. Nach dem Essen wurden die Tischplatten von den Holzböcken genommen und an die Wände gelehnt, und ein jeder suchte sich einen Schlafplatz.
Heute war die Stimmung gedämpfter als gewöhnlich. Die Unterhaltungen gingen im Flüsterton vonstatten, und alle spähten verstohlen zu Ælfric und seinem hohen Besucher hinüber, die ein bißchen abseits an einem Ende des Tisches saßen. Als sie aufgegessen hatten, ließ Ælfric einen Krug Honigmet kommen und schickte Dunstan, das kostbare, silberbeschlagene Trinkhorn aus der Truhe in der Schlafkammer zu holen. In Windeseile kehrte Dunstan zurück und überreichte es mit ehrfurchtsvoller Miene seiner Mutter. Marie füllte das Horn aus dem Krug, brachte es dem Earl of Wessex und streckte es ihm mit einem feierlichen Segenswunsch entgegen. Solche Förmlichkeiten waren in Helmsby selten, und die Männer und Frauen am Tisch wechselten ratlose Blicke.
»Und nun sag mir, was ich für dich tun kann, Harold«, drängte Ælfric. »Ich kann kaum glauben, daß du nur um einer alten Freundschaft willen den weiten Weg geritten bist.«
Godwinson hob leicht die Schultern. »Ein Mann in meiner Position hat so wenige Freunde, daß auch der weiteste Weg sich lohnt. Aber in gewisser Weise hast du recht. Es gibt in der Tat etwas, das du für mich tun könntest.«
»Wenn es in meiner Macht steht, ist es so gut wie getan.«
Harold atmete tief durch, legte die Hände auf die Tischplatte und sah kurz darauf hinab, ehe er fortfuhr. »Ich habe dir gesagt, ich bin im Begriff, in die Normandie zu William dem Bastard zu reisen.«
Ælfric nickte.
»Ich sage dir ehrlich, Ælfric, ich war vor zehn Jahren in Frankreich, und ich denke, ich kann behaupten, ich kenne die Schliche und die Eigenarten dieses seltsamen Volkes, aber die Normannen sind ein ganzeigener Schlag.« Er lächelte Marie reumütig zu. »Nichts für ungut, aber diese Normannen, die der König so innig in sein Herz geschlossen hat, seit er bei ihnen aufwuchs, sind mir nicht geheuer. Nun wünscht er, daß ich ihren Herzog William in seinem Auftrag aufsuche, und natürlich werde ich tun, was mein König wünscht. Aber ich beherrsche ihre Sprache nicht gut. Ich kenne ihre Sitten nicht.«
Er unterbrach sich kurz und sah von Marie wieder zu Ælfric. Der Thane of
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