Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
Helmsby erwiderte seinen Blick offen; wenn er ahnte, worauf Harold hinauswollte, ließ er sich jedenfalls nicht anmerken, was er davon hielt. »Natürlich werde ich ein halbes Dutzend gelehrter Mönche bei mir haben, die mir jedes Wort übersetzen, das ich nicht verstehe. Herzog William wird seinerseits wenigstens zwei Dutzend gelehrter Mönche um sich scharen, die ihm übersetzen, was ich sage. Aber es bleibt die bedauerliche Tatsache, daß ich mit der heiligen Mutter Kirche im allgemeinen und mit den Brüdern des heiligen Benedikt im besonderen nicht immer das beste Verhältnis hatte über die Jahre. Ich bin nicht gewillt, mich auf ihr Wohlwollen – oder soll ich sagen, ihre Ehrlichkeit? – zu verlassen. Was ich brauche, ist ein verläßlicher Begleiter. Niemand von herausragendem Rang, verstehst du. Ein unauffälliger, junger Bursche, der die Sprache beherrscht und mich wissen läßt, wenn meine frommen Ratgeber sich bei ihren Übersetzungen … irren. Ich brauche jemanden, der mein Ohr und mein Auge an Williams Hof ist, ohne daß irgendwer ihn bemerkt.«
    Ælfric nickte langsam. Es herrschte ein langes Schweigen, die Unterhaltungen in der Halle waren verstummt oder zu kaum wahrnehmbarem Geflüster gedämpft.
    Schließlich hob der Thane den Kopf. »Cædmon, komm her.«
    Cædmon rührte sich nicht. Seine Hände lagen lose auf den Oberschenkeln und wurden mit einemmal sehr feucht. Er erwiderte den Blick seines Vaters stumm.
    »Bist du taub, komm her, hab’ ich gesagt.«
    Guthric trat Cædmon unter dem Tisch unauffällig in die Wade.
    Cædmon fuhr leicht zusammen, stand langsam auf und trat vor seinen Vater.
    »Hast du gehört, was Earl Harold gesagt hat, Cædmon?«
    »Ja, Vater.« Seine Stimme war tief und heiser, er räusperte sich nervös. »Und möchtest du ihm und England diesen kleinen Dienst erweisen und mit ihm in die Normandie reisen?«
    Cædmon schluckte. Seine Lider flackerten kurz, aber er senkte den Blick nicht. Nein, wäre die ehrliche Antwort gewesen, ein klares, kategorisches Nein. Er wollte nicht mit diesem Fremden in ein fremdes Land reisen. Er wollte nicht weg von Helmsby und seiner Familie und allem, was ihm vertraut war. Er war noch niemals aus Helmsby fort gewesen. Der Gedanke machte ihm himmelangst.
    »Was ist, Cædmon? Antworte!«
    Cædmon atmete tief durch. »Ja, Vater. Sicher. Wenn es dein Wunsch ist …«
    »Das ist es.«
    Cædmon nickte. Er fühlte sich dumpf und hölzern.
    Ælfric lächelte kühl. »Dann ist es abgemacht. Du kannst wieder an deinen Platz gehen. Alles weitere besprechen wir morgen.«
    Cædmon wandte sich ab, und sein linkisches Hinken war ihm nur zu bewußt, als er zu seinem Platz zurückkehrte. Er versuchte, den Kopf hochzuhalten, aber er spürte all die vielen Blicke wie heiße Eisen, die sich in sein Fleisch brannten, und er ging ohne anzuhalten an seinem Platz vorbei zur Tür, verließ die Halle, und als er sich den vielen Augenpaaren entzogen wußte, rannte er. Er rannte zum erstenmal seit seiner Verwundung. Es war ein ungleichmäßiges, halb hüpfendes Rennen, und als er in den Obstgarten kam, raste sein Herz, und seine Kehle brannte.
    Es dauerte keine halbe Stunde, bis sein Vater ihn dort fand. Cædmon erhob sich eilig aus dem Gras unter dem Apfelbaum. Ælfric stand nur einen Schritt vor ihm und sah ihn unbewegt an. »Wie konntest du mich so bloßstellen?«
    Cædmon wandte den Kopf ab und rieb sich das Kinn an der Schulter. »Ich glaube nicht, daß ich das getan habe. Ich habe ›ja‹ gesagt.«
    »O ja. Das hast du. Aber wie?«
    »So gut ich konnte. Ich bin es nicht gewohnt zu lügen. Du hältst für gewöhnlich nichts davon.«
    Sein Vater runzelte bedrohlich die Stirn. »Gib acht, was du redest.« Dann schüttelte er verständnislos den Kopf. »Was ist nur in dich gefahren?«
    »Warum … warum schickst du mich weg?« Cædmons Stimme kippte, und er atmete tief durch, um die Fassung zu wahren. »Weil du es nicht ertragen kannst, mich anzusehen, nicht wahr? Du möchtest lieber vergessen, daß einer deiner Söhne ein Krüppel ist.«
    Ælfric schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Wie oft habe ich dich dieses Wort in den letzten Wochen sagen hören? Jetzt ist Schluß damit! Hör auf zu jammern. Das ist erbärmlich. Du bist jung und gesund und solltest Gott danken, daß er dich hat leben lassen. Statt dessen klagst du tagein, tagaus über dein Los. Du solltest dich wirklich schämen. Nicht dein Körper ist es, der verkrüppelt ist, sondern dein Gemüt. Du bist kein

Weitere Kostenlose Bücher