Das zweite Königreich
auf. »Ganz recht.« Er legte sein Speisemesser beiseite, goß einen Schuß Wein über die Erdbeeren und führte eine zum Mund. Mit geschlossenen Augen ließ er sie genießerisch auf der Zunge zergehen.
»Hier. Kostet. Sie sind süß wie die Sünde.«
Cædmon konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen, schüttelte aber den Kopf. »Nein, danke.«
Odo hob kurz die Hände. »Ihr laßt Euch eine große Gaumenfreude entgehen, aber ich gebe zu, daß ich meine Erdbeeren viel lieber selbst esse.« Eine zweite verschwand in seinem breiten Mund, der für ein Männergesicht beinah zu üppig war. Dieser Mund schien Odos Hang zum Laster zu verraten; er war zu voll, die Lippen zu rot für einen Bischof. Abgesehen davon sah er dem König ähnlich – weitaus ähnlicher als Robert. Odo hatte die gleichen schwarzen Augen wie William, die Hakennase, die hohe, noble Stirn und die leicht gewellten, nach normannischer Sitte geschnittenen Haare.
Er verschluckte seine Erdbeere und trat mit verschränkten Armen auf Cædmon zu. »Ich weiß, daß Ihr bald aufbrechen müßt, und ich will Euch nicht lange aufhalten. Aber ich habe eine äußerst dringende Angelegenheit mit Euch zu erörtern.« Er brach ab.
Cædmon war neugierig. »Ich höre, Monseigneur.«
»Tja, seht Ihr, das Problem ist, daß ich Mühe habe, mein Anliegen in Worte zu fassen … Seid so gut, kommt näher, Thane.«
Cædmon trat vor ihn.
»Hebt den Kopf ein wenig.«
Verwundert folgte er der Bitte.
Odo machte einen halben Schritt rückwärts, verengte die Augen, nahm Maß und schlug Cædmon die geballte, knochige Faust ins Gesicht.
Cædmon riß in grenzenloser Verblüffung die Augen auf, taumelte und ging zu Boden.
Odo sah ernst auf ihn hinab und schüttelte wortlos den Kopf.
Cædmon fuhr sich mit dem Handrücken über den Mundwinkel. Die Faust hatte ihn am Kinn getroffen, und der große Stein des Bischofsrings hatte ihm die Lippe aufgerissen. Er ließ die Hand sinken, setzte sich auf und sah zu Odo, der turmhoch über ihm stand.
»Und darf ich fragen, was Ihr mir damit sagen wolltet, Monseigneur?« »Ich denke, das wißt Ihr ganz genau«, grollte Odo leise, und Cædmon stellte fest, daß der Bischof dem König noch viel ähnlicher wurde, wenn er zornig war.
Cædmon kam auf die Füße. »Nein, ich habe keine Ahnung.«
»Wollt Ihr mir weismachen, Ihr wüßtet nicht, daß ich Aliesa de Ponthieus Beichtvater bin?«
Cædmon stockte der Atem. Er war nicht nur sprachlos. Er war zutiefst entsetzt.
»Nun steht nicht da wie ein Märtyrer! Ich will eine Erklärung! Wie könnt Ihr das tun? Wie könnt Ihr eine so wunderbare Frau in so eine Situation bringen? Ich …« Odo unterbrach sich kurz und atmete tief durch. »Cædmon, ich bin weiß Gott nicht ohne Sünde und würde mir nie anmaßen, Steine zu werfen, aber das … Es ist so unaussprechlich niederträchtig. Das hätte ich Euch niemals zugetraut. Und Etienne fitz Osbern? Er ist Euer bester Freund, nicht wahr?«
Cædmon nickte.
»Sagt endlich etwas! Was tut Ihr ihm nur an? Gott, wenn Ihr wüßtet, wie er sich zerrissen hat für Euch letzten Winter, als Ihr in Ungnade wart. Er hat alles getan, um Euch zurückzuholen, hat riskiert, sich mit seinem Vater zu überwerfen und den Zorn des Königs auf sich zu ziehen. Wie könnt Ihr ihn nur so betrügen?«
Cædmon räusperte sich. »Ich weiß es nicht. Ich frage mich oft das gleiche, und ich weiß es einfach nicht.«
Odo hielt in seinem rastlosen Marsch durch den Raum inne und sah ihn irritiert an. Vielleicht hatte er mit Rechtfertigungen oder Beteuerungen gerechnet. Aber damit konnte Cædmon wirklich nicht dienen. »Was soll ich sagen, Monseigneur? Was wollt Ihr hören? Daß ich ihn liebe wie einen Bruder? Ja, das tue ich. Daß ich mein Leben für ihn geben würde? Schon möglich. Wir kämpfen oft Seite an Seite – es kann morgen passieren. Daß ich sie um seinetwillen aufgeben werde? Nein. Ich habe es versucht. Aber ich kann nicht.«
»Aber das müßt Ihr. Ihr müßt! Sonst werdet Ihr euch alle drei ins Unglück stürzen. Wenn das nicht schon geschehen ist.«
Cædmon sah ihn angstvoll an. »Was heißt das?«
Odo zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Genau das, was Ihr glaubt. Sie erwartet ein Kind.«
Cædmon gab sich große Mühe, seine Erschütterung zu verbergen. »Vermutlich ist es seins.«
»Blödsinn!« donnerte Odo. »Wie lange sind sie verheiratet? Drei Jahre? Und habt Ihr Euch nie gefragt, warum bei all den Frauen, die Etienne fitz Osbern hat, man niemals
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