Das zweite Königreich
»Sire …«
»Natürlich werde ich der Königin Euer Beileid übermitteln. Oder Ihr könnt es ihr vielmehr persönlich aussprechen. In zwei Tagen kehre ich nach Winchester zurück, und Ihr werdet mich begleiten.«
Cædmon verneigte sich wortlos. Diese knappen Marschbefehle, mit denen der König so gern über ihn verfügte, machten ihn immer rebellisch, und darum hielt er lieber den Mund.
William wandte sich wieder an seine versammelten Ratgeber. »Und jetzt zur Sache, Monseigneurs.«
»Sire«, meldete Guillaume fitz Osbern, Etiennes Vater, sich zu Wort. »Ich wiederhole es noch einmal: Laßt mich nach Flandern gehen. Ich bin sicher, ich kann die Witwe des Herzogs, die ja wohl derzeit die Regentin für ihre jungen Söhne ist, für unsere Seite gewinnen. Derweil könnt Ihr Euch der Sache in Ely annehmen, und wenn das getan ist, kümmern wir uns um die Rückeroberung des Maine.«
Der König nickte, aber er wirkte unschlüssig.
Oswald und Guthric blieben zusammen mit Lanfranc bei Odo in Dover. »Wir wissen nichts Rechtes mit uns anzufangen«, gestand Guthric Cædmon beim Abschied. »Wir sind heimatlos geworden. Aber es istein großes Glück für uns, daß wir Lanfranc getroffen haben. Wir hatten schon so viel von ihm gehört, doch keine Beschreibung wird ihm gerecht. Ich glaube, er ist der gelehrteste Mann, dem ich je begegnet bin.« Ein eigentümliches Feuer glomm in Guthrics Augen, dessen Ursache Cædmon nicht so recht verstand.
»Nun, auf jeden Fall wird er Karriere machen«, vertraute er Guthric an. »Es ist so gut wie sicher, daß er Erzbischof von Canterbury wird.« »Also ist Stigand gestürzt?« fragte Guthric ungläubig. Der umstrittene Ränkeschmied war trotz wiederholter Exkommunizierung so lange Erzbischof gewesen, daß seine Entmachtung kaum vorstellbar schien.
Cædmon nickte. »Und auf dem Weg nach Ely, heißt es, um sich Hereward anzuschließen.«
Guthric seufzte. »Armes Ely. Wehe, wenn Williams Zorn dich trifft.« Cædmon gab ihm recht. »Könnt ihr nicht in ein anderes Kloster gehen? Zwei Gelehrte wie euch würden sie doch sicher überall gern nehmen.« »Ja, vermutlich werden wir genau das tun. Vielleicht auf dem Kontinent. Oswald möchte nach Bec. Und er hat recht, es ist eine gute Idee. Keine Bibliothek kann sich mit der in Bec messen.«
Cædmon schloß seinen Bruder in die Arme. »Wo immer du auch hingehst, Gott sei mit dir. Und laß mich wissen, wo du steckst.«
Guthric lächelte. »Vielleicht bleibe ich auch und gehe mit Lanfranc nach Canterbury. Falls er mich haben will …«
»Als ob ich’s geahnt hätte«, murmelte Oswald. »Du bist genau wie ich vor zehn Jahren.«
»Wie meinst du das?« fragte Guthric.
»Du liebst das Leben im Kloster, es ist der einzige Ort, wo du wirklich sein kannst, aber ein Teil von dir fürchtet, du könntest gar zu viel versäumen, wenn du der Welt wirklich entsagst.«
Guthric hob kurz die Schultern. »So ist es.«
Auch Oswald schloß Cædmon in die Arme. »Leb wohl, Cædmon. Gib auf dich acht. Und wenn der König Ely nimmt, dann hüte dich vor deinem Bruder.«
Cædmon rieb sich das Kinn an der Schulter. »Ich hoffe, sehr weit weg von Ely zu sein, wenn das passiert.«
»Mach dir lieber nichts vor. Gerade in Ely wird er nicht auf dich verzichten wollen, denn du warst dort, und es könnte immerhin sein, daß Verhandlungen mit Hereward nötig werden. Davon abgesehen, tut er doch ohnehin kaum einen Schritt ohne deine Begleitung.«
Cædmon schnaubte. »Wer erzählt denn so etwas?«
»Bischof Odo. Der dich übrigens noch zu sprechen wünscht, ehe ihr aufbrecht. Allein.«
Verwundert suchte Cædmon den Bruder des Königs in seinem luxuriösen Privatgemach auf. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie zu besprechen haben mochten. Er hatte selten direkt mit Odo zu tun, sie kannten sich im Grunde kaum. Odo verließ Kent nur, wenn der König ihn an den Hof zitierte oder dringende Angelegenheiten seine Anwesenheit in Bayeux erforderten, denn er liebte seine friedliche, blühende Grafschaft, und auch wenn er ehrgeizig war und bei Hastings große Tapferkeit bewiesen hatte und seinen Bruder in allen Dingen unterstützte, hielt er sich aus den vielen Konflikten doch weitestgehend heraus.
Als Cædmon eintrat, fand er den Bischof bei einem zweiten Frühstück aus kaltem Fasan, schneeweißem Brot, Wein und einem beachtlichen Berg frischer Erdbeeren.
»Bruder Oswald sagte, Ihr wünscht mich zu sprechen, Monseigneur?« Odo sah lächelnd
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