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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Dunstan ist ein Ungeheuer. So wie Lucien«, schloß sie leise.
    Cædmon hob verblüfft den Kopf. »Nein, Aliesa. Du tust deinem Bruder unrecht. Er ist hart, erbarmungslos manchmal. Vor allem dann, wenn er des Königs Werkzeug ist, denn William ist, wie wir alle wissen, an Erbarmungslosigkeit kaum zu übertreffen. Aber Lucien ist im Grunde kein übler Kerl. Das unterscheidet ihn von Dunstan.«
    Sie befreite sich aus seinen Armen und wandte sich halb zu ihm um. »Glaubst du das wirklich?«
    Er nickte nachdrücklich. Er hatte Lucien immer gemocht. Vielleicht weil er seiner Schwester so ähnlich sah, das war durchaus denkbar, aber es war nie so furchtbar schwierig gewesen, sympathische Züge an ihm zu entdecken. »Du sagst, es bräuchte mich nicht zu beschämen, daß Dunstan mir tot lieber wäre als lebendig. Ich bin keineswegs sicher, ob du recht hast. Aber du hast ganz gewiß keinen Grund, dich zu schämen, weil du deinen Bruder so innig liebst.«
    Die so bestürzend graugrünen Augen schimmerten einen Moment voller Wärme, aber der gehetzte Ausdruck, der ihm gestern sofort aufgefallen war, kehrte schnell zurück. »Vielleicht, ich bin nicht sicher. AberLucien war einer der Todesreiter. Und Etienne verabscheut ihn aus tiefster Seele.«
    »Ja, ich weiß. Aber Etienne hat es leicht mit seinem Urteil. Ich weiß, daß er niemals Kapital daraus schlägt, daß sein Vater dem König so nahesteht, doch seine Position hat Etienne erspart, sich je vor die Wahl gestellt zu finden, grauenvolle Dinge für William zu tun oder ihm den Rücken kehren zu müssen.«
    »Nein, das ist wahr.« Sie zog seine Arme fester um sich und rückte näher, so als könne sie ihm gar nicht nah genug sein. »Da fällt mir ein, daß ich aller Voraussicht nach eine illustre Schwiegermutter bekomme.«
    »Was?« fragte Cædmon verwirrt.
    »Fitz Osbern wird Richildis heiraten, die Witwe des Herzogs von Flandern.«
    » Was? «
    Sie nickte nachdrücklich. »Ich hörte, wie der König und die Königin darüber sprachen. Richildis soll als Regentin über Flandern herrschen, bis ihre Söhne erwachsen sind, aber ein gewisser Robert Frison, ein Bruder des verstorbenen Herzogs, droht mit einer Revolte.«
    »Der Bruder unserer Königin?«
    Aliesa hob kurz die Schultern. »So ist es. Jedenfalls ersucht Richildis dringend Williams Beistand und hat durchblicken lassen, daß sie durchaus gewillt sei, schnell wieder zu heiraten, vor allem dann, wenn König William ihr seinen getreuen Vetter und Vasallen fitz Osbern schicken sollte …«
    Cædmon schüttelte ungläubig den Kopf. »Meine Güte, Balduin ist ja kaum unter der Erde.«
    »Tja. Die Situation erlaubt keine Rücksichten auf Pietät.«
    »Und du meinst, Etiennes Vater liebäugelt damit, als Regent quasi Herzog von Flandern zu werden?«
    »Er liebäugelt mit allem, was seine Macht erweitert, solange es in des Königs Interesse liegt.«
    »Wer weiß, was daraus werden könnte«, murmelte er nachdenklich. »Wer weiß«, stimmte sie zu.
    Sie genoß es, mit Cædmon über Politik zu reden. Sie hatte nicht häufig Gelegenheit dazu, denn die anderen jungen Damen am Hof interessierten sich nicht dafür, die Königin hielt es für unschicklich, mit ihren Damen darüber zu debattieren, und Etienne, der ihr so viel über dieMechanismen des Regierens und die Hintergründe der Entscheidungen des Königs hätte verraten können, lehnte es ebenfalls ab, mit seiner Frau über solcherlei Dinge zu reden. Er fand, sie solle ihren hübschen Kopf nicht damit belasten. Was er meinte, war, daß sie nicht in der Lage sei, die Zusammenhänge zu begreifen. Weder Cædmon noch irgend jemand sonst hätte sie je gestanden, wie sehr sie das kränkte. Sie beklagte sich niemals über Etienne, bei Cædmon schon gar nicht. Und sie hatte ja eigentlich auch keinen Grund dazu. Etienne war ein zuvorkommender, meist sogar rücksichtsvoller Mann – sie hatte es weit besser angetroffen als die meisten anderen. Er war liebenswürdig, aufmerksam, fand nie etwas daran zu beanstanden, wie sie seinen Haushalt führte, hatte keine Einwände, daß sie gelegentlich Geld für ein Buch ausgab, und war bei seinen Affären äußerst diskret. Aber er wäre im Traum nicht darauf gekommen, sie in irgendeiner Weise ernst zu nehmen. Frauen waren in seinen Augen wie Kinder – unverständig, führungsbedürftig und nicht selten komisch. Das war einer der grundlegenden Unterschiede zwischen Etienne und Cædmon. Sie war nicht sicher, aber sie hielt es für möglich, daß es

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