Das zweite Königreich
den Kopf. »Ja, ich gestehe, ich hatte davon geträumt, einen Sohn zu haben, wenn ich heimkomme. Ich hätte so gern einen Sohn, Cædmon.«
»Ich weiß.« Und was für ein wunderbarer Vater du wärst, dachte er. Etienne hob kurz die Linke und lächelte. »Aber ich sollte Gott danken, statt mich zu beklagen. Ohne dich wäre ich heimgekommen, um festzustellen, daß ich Witwer bin. Ich habe gehört, was du für meine Frau getan hast. Das werde ich dir nie vergessen. Du bist ein wahrer Freund.«Selbstverachtung erfüllte Cædmon wie eine schneidende, innere Kälte, doch er winkte scheinbar gelassen ab und erwiderte: »Ich habe nur getan, was du selbst getan hättest, wärest du hier gewesen.«
Sein Freund betrachtete ihn einen Augenblick versonnen. »Hm, ich bin nicht sicher. Ich weiß nicht, ob ich auf den Gedanken gekommen wäre, zu diesen Fremdlingen zu gehen und einen von ihnen um Hilfe zu bitten. Es war eher typisch für dich: geistesgegenwärtig, wirksam und ein klein bißchen schockierend.«
»Aber in der Normandie weiß jedes Kind, daß sie die besten Ärzte sind«, widersprach Cædmon. »Da fällt mir ein, ich habe Malachias ben Levi gesagt, daß er und die seinen in dir einen Verbündeten in England haben werden.«
»Du hast nicht gelogen. Und weißt du … was genau er getan hat? Aliesa kann sich nicht erinnern.«
»Nein, ich habe keine Ahnung.« Aber das stimmte nicht. Er hatte seiner Mutter keine Ruhe gelassen, bis sie es ihm schließlich erzählt hatte. Malachias ben Levi hielt wenig davon, den Leib einer Wöchnerin aufzuschneiden, schon gar nicht, wenn das Kind tot war, denn nur ein verschwindend kleiner Teil der Frauen überlebte diesen Eingriff. Statt dessen hatte er ihren Bauch mit geschlossenen Augen befühlt, bis er die Stelle ertastet hatte, die er suchte, hatte mit einem eigentümlichen Griff Druck ausgeübt, und schließlich war das leblose, winzige Kind, das nicht aus ihrem Leib wollte, wie durch ein Wunder beinah mühelos herausgeglitten. Aber es war undenkbar, Etienne diese Einzelheiten zu berichten – er hätte sie ja eigentlich gar nicht wissen dürfen. Etienne erkannte seine Verlegenheit und wechselte das Thema. »Und die Königin?«
Cædmon setzte den Becher ab und nickte. »Hat kurz vor Weihnachten eine gesunde Prinzessin zur Welt gebracht. Constance.«
»Gott segne sie.«
»Ja, sie hat seinen Segen bitter nötig. Noch vor dem Jahreswechsel haben sie die bedauernswerte kleine Constance mit Alan Fergant von der Bretagne verlobt.«
»Das arme Kind. Nun, wenn sie Glück hat, ist er tot, ehe sie heiratsfähig wird. Jedenfalls hattet ihr hier sicher ein frohes Weihnachtsfest, könnte ich mir vorstellen.«
»O ja. Ich vor allem, denn unmittelbar nach der Niederkunft der Königin ist meine Mutter endlich wieder nach Hause gereist …«
Sie tauschten ein unkompliziertes, flegelhaftes Grinsen, wohl wissend, daß das an einem Trauertag wie heute denkbar deplaciert war.
»Da fällt mir ein, Cædmon, ist es wirklich wahr, daß mein teurer Schwager dir zum Dank für das Leben seiner angebeteten Schwester die Nase blutig geschlagen hat?«
»Wie hast du das nur so schnell wieder gehört?«
»Unsere Prinzen haben es mir erzählt. In tiefster Entrüstung. Also?« »Ja, es stimmt.«
Etienne schnaubte verächtlich. »Es sollte ein Gesetz geben, das einem Krüppel verbietet, einen gesunden Mann zu schlagen – man kann sich ja nicht mal guten Gewissens wehren.«
Cædmon hatte nicht mit herabbaumelnden Armen dagestanden und den Schlag kommentarlos eingesteckt, weil Lucien ein Krüppel war. Aber die Erklärung war so gut wie jede andere.
»Warum?« fragte Etienne verständnislos. »Er hätte dir die Füße küssen sollen!«
»Nein, vielen Dank.« Cædmon hob unbehaglich die Schultern. »Er war einfach … erleichtert.«
»Eine eigentümliche Art, seiner Erleichterung Luft zu machen.«
»Ach, du weißt doch, wie er ist. Er verabscheut Juden beinah so leidenschaftlich wie Engländer. Der Gedanke, daß ein jüdischer Arzt seine Schwester … na ja. Außerdem hat er natürlich herausgefunden, daß ich ihn nur nach Dover geschickt hatte, um ihn loszuwerden. Das hat ihm nicht gefallen.«
Etienne schüttelte verständnislos den Kopf. »Immer findest du Ausflüchte und Entschuldigungen für ihn. Ich kann das einfach nicht begreifen. Du bist doch sonst kein so widerwärtiger Friedensengel.«
Cædmon lachte, über den Ausdruck ebenso wie aus Verlegenheit, doch eine Antwort blieb ihm erspart, denn
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