Das zweite Königreich
Weinimporteur nachts auf den Straßen von London ausgeraubt und geschlagen wird, verlieren ein paar Engländer eine Hand. Bestellt dem Gildemeister der englischen Weinhändler, er darf dreimal raten, wer der erste wäre …«
Cædmon unterdrückte ein Seufzen und nickte. »Ja, Sire.«
William schlug mit der Faust auf die geschnitzte Armlehne seines Sessels. »Ich kenne wahrlich keinen anderen Mann, der ›Ja, Sire‹ sagen und damit solche Mißbilligung ausdrücken kann. Laßt uns teilhaben an Eurem Kummer. Was ist der Anlaß für diese Cædmonische Leidensmiene?«
»Sire, ich bin sicher, die normannische Konkurrenz wäre den Londoner Weinhändlern kein solcher Dorn im Auge, wenn Normannen und Engländer gleichermaßen besteuert würden. Aber Ihr nehmt die Normannen von der Steuerpflicht aus und …«
»Sie zahlen Steuern für ihre Niederlassungen in der Normandie! Wie sonst hätte ich sie wohl herlocken sollen, wenn nicht mit der Aussicht auf steuerfreie Einkünfte? Warum sollten sie kommen?«
Warum willst du sie denn hier haben? dachte Cædmon ärgerlich, sagte aber: »Trotzdem ist der Einwand der englischen Kaufleute nicht unberechtigt. Die Stadtbevölkerung ist merklich zurückgegangen. Allein für Errichtung des Towers …«
»Des was?«
»Eure Londoner Burg, Sire, die Leute nennen sie ›den Tower‹. Allein um dafür Platz zu schaffen sind über hundert Häuser abgerissen worden …«
William schoß aus seinem Sessel hoch. »Wie oft muß ich mir das noch anhören? Wären die Londoner nach der Eroberung nicht so halsstarrig gewesen, hätte ich vielleicht keine Veranlassung gesehen, ihnen eine Burg mitten in die Stadt zu setzen! So wie die Dinge lagen, war es notwendig, und der Platz mußte geschaffen werden!«
»Das ist richtig, Sire, trotzdem hat der Thane nicht ganz unrecht«, wandte Montgomery ein. »Der Abriß von hundert Häusern bedeutet hundert Familien, die entweder aus London fortgegangen sind oder als Bettler dort leben, jedenfalls keinen Anteil der Steuerlast übernehmen können, und trotzdem soll die Stadt die gleiche Summe zahlen wie früher. Das ist hart. Die Leute haben Mühe, das Geld aufzubringen, und sehen gleichzeitig, daß die zugewanderten Normannen von der Steuer ausgenommen werden. Kein Wunder, daß es böses Blut gibt.«
»Böses Blut muß fließen, Montgomery«, sagte William gefährlich leise. »Ich stehe vor wenigstens drei kostspieligen Feldzügen.« Er zählte sie an den Fingern ab: »Ich muß diesen verfluchten Halunken Hereward in Ely belagern, ich muß meine Macht im Maine wiederherstellen, weil mein Sohn offenbar unfähig ist, es zu tun, und in absehbarer Zeit muß ich eine Armee nach Schottland führen, damit dieser Eidbrecher Malcolm und sein angelsächsischer Schoßhund, Edgar Ætheling, endlich lernen, wem die Provinzen Cumbria und Lothian gehören. Und dafür brauche ich Geld.«
Montgomery nickte. »Ich weiß, Sire. Ich sage auch nicht, Ihr solltetden Londonern die Steuern erlassen. Ich rate nur, ihnen die Situation zu erklären, statt ihnen zu drohen. Es sind vernünftige Männer, und sie auf unserer Seite zu haben, kann nur von Nutzen sein.«
Der König grübelte einen Augenblick mit gerunzelter Stirn. Schließlich nickte er knapp. »Also schön. Cædmon, sagt ihnen, ich lasse ihnen Zeit bis Ende April, aber das Geld muß her. Und erklärt ihnen meinetwegen, warum die normannischen Kaufleute ausgenommen bleiben.«
»Ja, Sire.« Cædmon verneigte sich, wandte sich zur Tür und nickte Montgomery dankbar zu.
Der Earl antwortete mit einem verstohlenen Augenzwinkern.
»Ach ja, und Cædmon …«
»Sire?«
»Wenn Ihr in London seid, solltet Ihr nicht versäumen, Eurer Braut einen Besuch abzustatten.«
»Nein, Sire.«
»Es ist eine Schande, daß man Euch ständig daran erinnern muß! Ihr solltet wirklich …«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach den König, und unaufgefordert trat ein Soldat der Wache ein. »Ich bitte um Verzeihung, Sire …«
William packte den Unglücksraben am Ellbogen und schleuderte ihn gegen die schwere Eichentür. »Wie oft muß ich sagen, daß ich nicht gestört werden will, bis du es dir merkst?«
Der Mann fiel benommen auf ein Knie, stand aber sofort wieder auf und wiederholte hastig: »Ich bitte um Verzeihung, Sire, aber Etienne fitz Osbern ist hier und ersucht dringend, Euch zu sprechen.«
Der König riß verblüfft die Augen auf. »Etienne? Wie in aller Welt kommt er hierher?«
»Das hat er nicht gesagt, Sire.«
»Herein mit
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