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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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unerwartet.
    Cædmon starrte ihn verblüfft an, aber ehe er antworten konnte, fragteEtienne erstaunt: »Ist das wahr? Sie hat Vorbehalte gegen England?«
    »Vorbehalte? Sie wünscht sehnlicher als jeder englische Rebell, William hätte den Kanal nie überquert, und sie hält uns alle für Barbaren«, sagte Cædmon hitzig.
    »Das ist mir vollkommen unbegreiflich«, höhnte Lucien und machte sich an den Abstieg. »Ich gehe und suche die beste Stelle, wo wir anfangen können. Davon, daß wir hier herumstehen und plaudern, wird der Damm nicht fertig.«
    Gleich am Fuße des grasbewachsenen Walls begann das Schilf. Lucien stapfte darauf zu, und Cædmon öffnete den Mund zu einem warnenden Ruf. Aber Etienne legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Laß ihn doch«, sagte er mit einem boshaften Grinsen.
    Lucien ging entschlossen, aber vorsichtig. Bei jedem Schritt prüfte er die Tragfähigkeit des Untergrunds, ehe er ihm sein ganzes Gewicht anvertraute. Als er nach zehn oder zwölf Schritten immer noch festen Boden fand, wurde er mutiger und ging schneller. Er setzte den Fuß auf die kleinen Grasinseln und glaubte schon, Cædmon habe mit seinen Warnungen vor der Tücke der Fens maßlos übertrieben, als das Büschel unter seinem linken Fuß wegtauchte.
    Mit einem Protestschrei stürzte Lucien in die pechschwarzen Fluten. Cædmon und Etienne lachten, liefen aber ohne zu zögern den Hang hinab, um ihm zu helfen. Zwei Schritte vor dem Rand des brackigen Schlammlochs hielt Cædmon an, nahm den Gürtel ab und legte sich auf den Bauch. »Etienne, halt meine Füße. Und paß auf, wo du hintrittst!« Lucien steckte schon fast bis zur Brust im Morast. Erleichtert ergriff er das Ende des Gürtels, das Cædmon ihm zuwarf, zog sich, obwohl er nur eine Hand hatte, geschickt daran bis zum Rand, kletterte halb heraus und brach wieder ein. Diesmal ging er ganz unter, aber er ließ das rettende Seil nicht los.
    »Langsam«, sagte Cædmon eindringlich, als der Kopf wieder auftauchte. »Du darfst dich nicht zu heftig bewegen. Am besten hältst du ganz still, und wir ziehen. Jetzt. Komm her, Etienne, faß mit an …«
    Was schließlich keuchend und tropfend auf dem sicheren Boden vor ihnen stand, hatte nur noch entfernt Ähnlichkeit mit dem jungen, stattlichen Kommandanten der königlichen Leibwache, sah mehr aus wie eine übergroße Strohpuppe, die ein achtloses Kind in eine schlammige Pfütze geworfen hatte.
    Etienne gab sich keinerlei Mühe, seine Belustigung zu verbergen. Er lachte, bis Tränen sein Gesicht hinabrannen, wies mit dem Finger auf seinen Schwager, stützte die Hände auf die Oberschenkel und rang um Atem. »O Gott, Lucien, nur gut, daß deine Schwester dich so nicht sieht. Ich denke, vor dem Essen solltest du dich wirklich umziehen. Und ein Bad nehmen, wenn du mir meine Offenheit verzeihen willst, aber du riechst ein bißchen streng …«
    Lucien stand reglos, erduldete Etiennes Spott mit stoischer Ruhe und wischte sich zum wiederholten Male vergeblich mit dem schlammigen Ärmel über das schlammige Gesicht. Ein Tropfen fiel dabei von der Nase auf seine Brust und löste einen neuerlichen Heiterkeitsausbruch aus. »Ich weiß wirklich nicht, was du gegen East Anglia hast, ich finde es ausgesprochen unterhaltsam …«
    »Was geht hier vor«, bellte die Stimme des Königs plötzlich hinter ihnen, und Etienne verstummte jäh.
    William sah kopfschüttelnd an Lucien hinab und hatte selber sichtlich Mühe, ernst zu bleiben. »Ich habe nicht verlangt, daß Ihr den Untergrund so gründlich untersucht.«
    »Sire … Dieser Sumpf packt einen an den Füßen und zieht«, versuchte Lucien zu erklären. »Ich …«
    »Was für ein Unfug!« widersprach der König unwirsch.
    »Aber er hat recht, Sire«, sagte Cædmon. Er verspürte keinen Drang zu lachen. Wenn man sein ganzes Leben lang Leute im Moor hatte ertrinken sehen, verlor man den Sinn für den komischen Anblick, den die wenigen boten, die ihm lebend entkamen. »Genauso kommt es einem jedenfalls vor.«
    Der König bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Nun, da Ihr Euch offenbar so hervorragend damit auskennt, werdet Ihr den Bau des Dammes überwachen.«
    »Wie Ihr wünscht, Sire.«
    Er verzichtete darauf einzuwenden, daß er sich nicht wirklich in den Fens auskannte. Guthric oder Bruder Oswald waren diejenigen, die sie hier gebraucht hätten, aber beide waren mit Lanfranc auf dem Weg nach Rom, wo der Erzbischof sich beim Papst sein Pallium abholen wollte. Und der König würde auch niemals

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