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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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kam es vor, als wären es mehr als die Schilfhalme der Fens. Er hatte versucht, sich vor dem Nähen zu drücken, indem er vorgab, beim Bau der Teile für die Behelfsbrücke, die den Ouse überspannen sollte, unabkömmlich zu sein, aber es nützte nichts. Er blieb ebensowenig verschont wie Etienne oder die Prinzen. Einzig Lucien de Ponthieu und eine Handvoll weiterer Männer, die trotz fehlender Arme oder Hände noch mit ins Feld zogen, waren entschuldigt. Lucien nahm es daher auf sich, die Qualität der Näharbeiten zu überwachen. Und so sehr Cædmon ihn auch haßte, wenn er ihm mit einem schadenfrohen, kalten Lächeln ein fertiges, aber schlampig gearbeitetes Stück zurückbrachte, fand er es dennoch beruhigend. Denn ihrer aller Leben würde davon abhängen, daß die Nähte hielten.
    Über zwei Wochen vergingen so, bis der erste Abschnitt des Dammes, der bis zum Ouse reichte, fertiggestellt war. Es waren keine leichten Tage und Nächte. Die eintönige Arbeit, die noch dazu viele als erniedrigend und ehrlos ansahen, machte die Männer ebenso gereizt und streitsüchtig wie die entnervende Stille der Sümpfe und die blutgierigen Mückenschwärme, die abends in großen Wolken aus dem Schilf aufstiegen. Vereinzelt traten Fieberfälle auf. Damit nicht genug, kamen nachts Herewards Männer mit ihren Flößen bis ans jenseitige Flußufer, schossen auf die Wachfeuer entlang des wachsenden Damms und auf alles, was sich bewegte, und verhöhnten das normannische Heer und seinen König. Nicht wenige der Pfeile aus der Finsternis fanden ein Ziel, und manch aufgeschreckter Wachsoldat tat einen Fehltritt und ertrank im Moor. Bald ging die Angst um unter den Männern, und es wurde von Geistern und Sumpfhexen gemunkelt. Als ein junger bretonischer Söldner nachts in Panik seinen Posten verließ und hinter den sicheren Wall von Belsar’s Hills flüchtete, ließ Warenne, der eins der Kommandos führte, ihn so unbarmherzig prügeln, daß der Mann starb. Die übrigen Bretonen der Truppe murrten, und oft sah man sie zu zweit oder zu dritt zusammenstehen und untereinander tuscheln.
    »Ich fürchte, sie könnten meutern«, vertraute Etienne Cædmon an, als sie abends mit einem Becher dünnem Bier und etwas Dörrfleisch vor ihrem Zelt saßen. »Sie sind eine mißgelaunte Brut, diese Bretonen.« »Du wärst auch nicht strahlender Laune, wenn es einer deiner Landsleute gewesen wäre.«
    »Keine Armee kann ohne Disziplin funktionieren, Cædmon. Wer dieBefehle mißachtet, muß bestraft werden und auf mein Mitgefühl verzichten, ganz gleich ob Normanne, Bretone oder Engländer.«
    »Aber man muß ihn nicht gleich umbringen«, bemerkte Richard, der leise hinzugetreten war.
    Etienne nickte unwillig. »Du hast recht.«
    Cædmon rückte ein Stück zur Seite und lud Richard mit einer Geste ein, neben ihm auf seinem ausgebreiteten Mantel Platz zu nehmen. »Hier, nimm ein Stück Fleisch. Wenn das deinen prinzlichen Gaumen nicht beleidigt.«
    Richard ließ sich neben ihm nieder und nahm den angebotenen, grauen Streifen. »Tja. Appetitlich sieht es nicht gerade aus. Eher wie vertrocknete Krötenhaut. Aber ich schätze, was gut genug für den König ist, ist gut genug für mich.« Er steckte das Fleisch in den Mund und zerrte mit den hinteren Zähnen daran.
    »Wo sind Rufus und Leif und Eadwig?« fragte Etienne.
    »Weiß nicht.«
    Etienne hob das Kinn und sah ihn streng an.
    Richard schlug die Augen nieder. »Auf dem Damm. Sie wollten einmal bis zum Ouse und zurück. Luft schnappen.«
    Etienne stand auf. »Und sich ein paar englische Pfeile einfangen? Na wartet, ihr könnt was erleben, Jungs …«, brummte er und ging eilig davon.
    Richard seufzte. »Großartig. Wenn Rufus erfährt, daß ich es Etienne gesagt habe, wird er eine Woche kein Wort mit mir reden.«
    »Etienne wird es ihm nicht verraten, sei unbesorgt. Davon abgesehen, solltest du dich schämen, dich vor deinem jüngeren Bruder zu fürchten«, neckte Cædmon.
    »Da hast du eigentlich recht. Aber wenn Rufus wütend ist, ist er genau wie mein Vater.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Cædmon, was wird passieren, wenn die Bretonen meutern? Was wird der König tun?«
    Cædmon trank an seinem Becher und hielt ihn dem Jungen dann einladend hin. Richard schüttelte den Kopf.
    »Er wird ein paar bretonische Köpfe abschlagen, und dann herrscht wieder Ruhe«, sagte Cædmon ironisch.
    »Du haßt ihn, nicht wahr?« fragte der Prinz fast tonlos.
    Cædmon sah ihn verblüfft an. »Wie in aller Welt kommst du

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