Das zweite Königreich
verdunkelten, und fragte: »Wann, sagtet Ihr, Madame, erwartet Ihr Euren Piraten aus Grönland zurück?«
Hyld stöhnte und wandte sich hilfesuchend an Oswald, doch ehe der Bruder zu einer spitzen Bemerkung ansetzen konnte, trat auf leisen Sohlen ein Diener ein und meldete: »Monseigneur … Prinz Rufus, Prinz Henry, Eadwig of Helmsby und Leif Guthrumson.«
Odos Miene hellte sich auf. »Herein mit ihnen. Und bitte den Thane of Helmsby her.«
Cædmon hätte die »Bitte« gern mißachtet, denn er hatte nicht das geringste Bedürfnis, Rufus wiederzusehen. Doch die Wache vor seiner Tür nahm ihm die Entscheidung ab. Nachdem der Diener die Nachrichtüberbracht hatte, hielt der Soldat höflich die Tür auf und sah auffordernd zu Cædmon hinüber. Cædmon wußte, wenn er sich weigerte, würde der Mann die höfliche Maske kurzerhand fallenlassen, ihn packen und nach unten schleifen. Also ging er lieber freiwillig.
Von der Tür aus beobachtete er sie einen Moment. Leif und Eadwig bewunderten das halbfertige Teilstück des Teppichs in dem Rahmen am Fenster. Hyld hatte sich bei ihrem Bruder und ihrem Schwager eingehakt und erklärte ihnen, was die Bilder darstellten und was noch hinzukommen sollte.
Derweil erläuterten Odo und Bruder Oswald Rufus den Entwurf auf dem Tisch. Henry stand auf Zehenspitzen am Fenster und versuchte vergeblich, hinauszusehen.
Eadwig wandte plötzlich den Kopf und entdeckte seinen Bruder. »Cædmon!« Er lächelte, aber Cædmon war nicht entgangen, daß die Augen sich einen winzigen Moment erschreckt geweitet hatten. Sah er denn wirklich so furchtbar aus?
Rufus’ Kopf ruckte hoch, als er den Namen hörte.
Cædmon trat zu ihm und verneigte sich förmlich. »Mein Prinz.«
»Cædmon.« Rufus lächelte unsicher. Auf einmal wirkte er viel jünger als seine zwanzig Jahre, beinah knabenhaft. Er schluckte sichtlich. »Wir hörten, du seiest krank. Ich hoffe, du bist vollständig genesen?« »Ja, vielen Dank.« Er sah dem Prinzen unverwandt in die Augen, schien überhaupt nicht wahrzunehmen, wie der Blick sich in die Länge zog, und Rufus war unendlich erleichtert, als Eadwig hinzutrat und Cædmon ungestüm an sich zog. »Bruder! Du bist immer noch dürr wie ein Rindvieh im Frühjahr.«
Cædmon lächelte kurz. »Dabei gibt Hyld sich solche Mühe, mich zu mästen. Was verschlägt euch hierher?«
»Lanfranc hat nach Rufus geschickt. Und es ist so grauenhaft langweilig in Winchester, also haben wir uns gedacht, wir leisten ihm Gesellschaft. Und den kleinen Plagegeist haben wir mitgenommen, weil er so ein Trauerkloß ist in letzter Zeit. Seine Mutter meinte, eine Reise täte ihm gut.« Er wies auf den achtjährigen Henry.
»Was gibt es Neues in Winchester?« wollte Bruder Oswald wissen.
Eadwig hob kurz die Schultern, nahm dankbar den Becher, den ein Diener ihm reichte, und trank. Dann antwortete er: »Gar nichts. Das letzte große Ereignis war Waltheof of Huntingdons Hinrichtung vor zwei Monaten. Ich nehme nicht an, daß ihr hören wollt, wie er mittenim Paternoster zu heulen anfing und jeden Engländer bis auf die Knochen beschämt hat?«
»Du warst da?« fragte Hyld, ihre Mißbilligung war unüberhörbar.
Eadwig nickte. »Der Sheriff befürchtete Unruhen, jeder verfügbare Mann war da. Aber alles blieb friedlich. Waltheof gab so eine traurige Figur ab, daß auch die Engländer erleichtert waren, als der Scharfrichter seinem Gewinsel schließlich ein Ende machte.«
»Wie kannst du nur so reden?« fragte sie aufgebracht. »Ohne ihn wäre der König vermutlich gestürzt! Und wie hat er Waltheof seine Treue gedankt?«
»Waltheof hat ein bißchen lange gezögert, seine Treue unter Beweis zu stellen, Madame«, wandte Odo behutsam ein.
»Mag sein. Aber die wahren Verräter leben noch«, gab sie zurück.
»Ralph de Gael nur deswegen, weil er geflohen ist«, sagte Rufus. »Und Roger fitz Osbern …«, sein Blick glitt unwillkürlich in Cædmons Richtung, als er den Namen aussprach, aber er hielt den Kopf gesenkt und beendete den Satz: »ist meines Vaters Neffe, Madame. Ihr müßt zugeben, daß das einen Unterschied macht, der nichts mit der Frage ob Engländer oder Normanne zu tun hat. Glaubt mir, bei Verrätern macht der König keine Unterschiede …«
Cædmon verspürte ein wirklich flaues Gefühl in seinem leeren Magen. Er wollte nichts von alldem hören. Unbemerkt schlenderte er zum Fenster hinüber. Henry hatte den Versuch aufgegeben, in den Hof hinunterzuschauen. Der Sims war etwa auf der
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