Das zweite Königreich
die Schulter. »Du scheinst ein bißchen grün um die Nase.«
Eadwig schnitt eine Grimasse und winkte ab. »Rauhe See«, erklärte er. Cædmon lachte schadenfroh. »Ich glaube, unser Eadwig taugt nicht für deine nächste Grönlandfahrt, Erik.«
Eadwig begrüßte seinen Schwager herzlich, der den Bruder des Königs argwöhnisch aus dem Augenwinkel begutachtete.
Rufus trat einen Schritt näher an Cædmon heran und sagte leise: »Kann ich dich sprechen?«
»Natürlich.«
»Dann komm.« Der Prinz nickte zum Fenster, und Cædmon folgte ihm dorthin.
Rufus ließ den Blick über das Durcheinander in der Halle schweifen, ehe er seinen Mut sammelte und Cædmon in die Augen sah.
»Du … du weißt vermutlich, daß es mir ein großes Anliegen ist, den Wünschen meines Vaters zu entsprechen, seine Interessen zu wahren und ihm ein treuer, ergebener Sohn zu sein, nicht wahr?«
»Ja, Rufus. Das ist mir nicht entgangen. Ich habe deinen diesbezüglichen Eifer sehr deutlich zu spüren bekommen.«
Rufus nickte, zumindest äußerlich unberührt von Cædmons Sarkasmus. »Und daß ich ihm nie widerspreche und versuche, nichts zu sagen, das seinen Unwillen erregen oder sein Vertrauen in mich erschüttern könnte, denn mir liegt daran, und außerdem habe ich immer noch eine Todesangst vor ihm.«
Cædmon sah ihn an, nicht sicher, wie er dieses freimütige Eingeständnis werten sollte.
Der Prinz erwiderte den Blick scheinbar gelassen, aber seine Haltung war angespannt. »Nun, nach der Zeremonie in Odos Kathedrale bin ich von meinen Grundsätzen abgewichen, weil ich mir dachte, daß ich meinen Vater vermutlich nie wieder in so gelöster, nahezu milder Stimmung finden würde. Und ich habe ihn gebeten, seinen Groll gegen dich zu begraben und dich freizulassen.«
Cædmon zeigte keinerlei Regung, erweckte glaubhaft den Anschein, als langweile ihn ein wenig, was Rufus ihm erzählte, aber seine Hände waren plötzlich sehr feucht. »Und du hast festgestellt, daß das keine sehr kluge Idee war, nehme ich an.«
Rufus schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Er hat zugestimmt. Zu Pfingsten soll ich mit Henry nach Rouen zurückkehren. Er wünscht, daß du uns begleitest.«
Eadwig erzählte ihm später die Einzelheiten, nachdem er Cædmon an seinem üblichen Platz auf der Brustwehr gefunden hatte, wo er stand, in die Dunkelheit starrte und dem Rauschen der Brandung an den weißen Klippen lauschte.
»Im ersten Moment hab ich gedacht, die Feierlaune sei vorbei, der König werde Rufus bei den Ohren packen und mit dem Kopf gegen die Wand schleudern. Etwas wirklich Finsteres huschte wie ein Schattenüber sein Gesicht, und er sagte kein Wort. Rufus … er ist wirklich sehr mutig, wenn eine Sache es ihm wert ist, weißt du, und er hat einfach weitergeredet und seinem Vater gestanden, wie sehr es ihn quälte, daß er für deine Gefangenschaft verantwortlich sei. Ähm … wir alle dachten natürlich, du lägest hier in irgendeinem finsteren Loch und würdest langsam, aber sicher verfaulen.«
Cædmon lächelte freudlos. »Euer unverdientes Mitgefühl ist mir wirklich peinlich.«
Eadwig schlug die Augen nieder und räusperte sich nervös. »Entschuldige, Cædmon. So hab ich’s nicht …«
»Schon gut, schon gut. Nimm nicht alles so ernst, was ich sage. Das hast du früher auch nicht getan.«
Sein Bruder grinste erleichtert und fuhr fort: »Der König hat ihm auch tatsächlich zugehört. Dann wechselte er einen von diesen verstohlenen Blicken mit der Königin, wie er es so oft tut, und gab ganz plötzlich nach. ›Also gut, Rufus‹, hat er gesagt, ›ich gewähre deine Bitte.‹ Und er hat gelächelt wie eine zufriedene Katze. Ehrlich, manchmal verstehe ich überhaupt nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Dann hat er Rufus aufgetragen, mit dem Bischof hierher zurückzukehren und dir auszurichten, daß er dich Pfingsten in Rouen erwartet. Bis dahin bist du frei zu gehen, wohin du willst, aber nicht weiter nördlich als Helmsby und nicht weiter westlich als Winchester.«
»Er will nicht, daß ich Etienne aufsuche.«
»Ja.«
Cædmon schwieg und dachte darüber nach. »Na ja, ich kann nicht behaupten, daß es mich besonders dazu drängt.« Wozu auch? Nichts, was er Etienne hätte sagen können, würde irgend etwas ändern. »Der König muß wirklich in seltsamer Stimmung gewesen sein«, bemerkte er. »Es sieht ihm nicht ähnlich, einen Gedanken an die Gefühle anderer Leute zu verschwenden.«
»Das ist es wohl auch nicht«, vertraute Eadwig ihm
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