Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
irgendwo haltgemacht, wo er für sein Essen nicht erst beten mußte, aber er willigte ein, ohne zu zögern. Er hatte so eine Ahnung, daß Cædmon an Heimweh litt und gerne noch ein paar Geschichten aus Helmsby hören wollte.
     
    Das Essen am frühen Abend, die Hauptmahlzeit des Tages, war derzeit meist eine ruhige, schlichte Angelegenheit, doch kaum hatten sie sich hingesetzt, als sie eine große Reiterschar im Hof Einzug halten hörten. Ælfric sprang von der Bank auf, ignorierte die Ermahnungen seinesVaters und stürzte ans Fenster. »Es ist Bischof Odo!« rief er aufgeregt. »Dein Onkel ist zurück, Henry! Und da ist Eadwig!«
    Er wollte zur Tür laufen, aber Cædmon sagte bestimmt: »Du kommst her und setzt dich, Ælfric. Und du wirst nicht noch einmal von der Tafel aufstehen, ohne um Erlaubnis zu bitten, ist das klar?«
    Ælfric sah ihn erschrocken an und kehrte kleinlaut an seinen Platz zurück. »Ja, Vater.«
    Cædmon nickte und rief sich ins Gedächtnis, daß seine Söhne bis vor einem halben Jahr unter Bauern gelebt hatten. Es war allein seine Schuld, daß ihre Manieren zu wünschen übrigließen.
    Die Rückkehr des Hausherrn versetzte nicht nur Ælfric in helle Aufregung. Der Koch rang verzweifelt die Hände, sah zu den Deckenbalken auf und fragte Gott, warum der Bischof ihm keinen Boten gesandt habe. Was würde der wählerische Bruder des Königs wohl sagen, wenn er Kohlsuppe und nicht mehr ganz frisches Brot vorgesetzt bekam? Er hastete in die Küche hinunter, um auf die Schnelle ein kleines Wunder zu vollbringen.
    Wenig später betrat Odo mit etwa zwanzig Mann Gefolge seine Halle, begrüßte den Steward, den Kämmerer und den Mundschenk als höchste Amtsträger seines Haushaltes zuerst, ehe er sich seinen übrigen Gästen, freiwilligen wie unfreiwilligen, zuwandte.
    Cædmon sah in sein strahlendes Gesicht und wußte alles. »Ich sehe, Ihr seid zufrieden, Monseigneur«, sagte er lächelnd.
    Odo nickte. »Es war wunderbar. Eine sehr bewegende Zeremonie, der Erzbischof von Rouen ist ein begabter Mann. Aber er hat ja auch viel Übung darin, Kirchen zu weihen.«
    »Und der König?«
    Odos dunkle Augen funkelten. »Nun, als er die Kathedrale von außen sah, sagte er, sie sei so groß und prächtig, daß er Hoffnung habe, Gott werde mir zumindest die Hälfte meiner ungezählten Sünden erlassen. Und als er eintrat und den Teppich erblickte …«
    »Ja?« fragte Cædmon gespannt.
    »Sagte er gar nichts mehr. Er starrte darauf, als traue er seinen Augen nicht. Dann trat er an den Anfang und ging daran entlang. Es dauerte stundenlang, so schien es mir. Er hat den Beginn der Zeremonie wer weiß wie lange aufgehalten, der Erzbischof wurde schon ganz unruhig. Aber William merkte nichts davon. Etwa nach einem Viertel winkte er mich zu sich und zeigte auf die Inschrift, vor der er stand. Er konntenichts sagen, Cædmon. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich meinen Bruder sprachlos. Zusammen gingen wir von Bild zu Bild, und ich las ihm die Beschriftung vor. Und als wir ans Ende kamen …« Er brach ab.
    Der König hatte geweint und Odo in die Arme geschlossen, ebenfalls beides bislang unbekannte Erfahrungen für den jüngeren Bruder. Einen Augenblick hatten sie reglos gestanden, beide erschüttert. Dann war William einen Schritt zurückgetreten, hatte Odo die Hand auf die Schulter gelegt und genickt, während immer noch Tränen über sein Gesicht liefen. Aber es war unmöglich, das zu erzählen. Es war ein zu persönlicher Moment gewesen.
    Cædmon nickte. »Ja. Ich verstehe, Monseigneur. Und ich bin froh, daß all die harte Arbeit sich gelohnt hat.«
    Odo atmete tief durch. »Das hat sie in der Tat. Ich … ich habe den König nie so tief bewegt gesehen. Vielleicht ist es furchtbar, daß ich das sage, aber weder bei der Geburt seines ersten Sohnes noch bei seiner Krönung oder als Richard starb haben sich je solche Empfindungen auf seinem Gesicht gezeigt.«
    Vielleicht liegt es daran, daß der Teppich etwas ist, das jemand ohne jeden Zwang oder Eigennutz für William getan hat, fuhr es Cædmon durch den Kopf. Für einen Mann, der sich so schlecht darauf verstand, Liebe oder Zuneigung in den Menschen zu wecken, sich so wenig darum bemühte, sicher eine seltene Erfahrung.
    Odo sah ihn eulenhaft an. »Ich wüßte zu gern, was in Eurem Kopf vorgeht. Aber hier kommen Rufus und sein getreuer Schatten, Euer Bruder.«
    Cædmon wandte den Kopf.
    »Rufus.«
    »Cædmon.«
    »Eadwig!« Er zog den Bruder kurz an sich und klopfte ihm

Weitere Kostenlose Bücher