Das zweite Königreich
leise an. »In Wahrheit geht es wohl eher darum, daß er nicht will, daß du dich mit Etienne fitz Osbern versöhnst, meint Rufus. Der König blickt nicht wohlgefällig nach Chester, Cædmon. Lanfranc hat ihm berichtet, daß die Verwaltung dort darunter leidet, daß der Sheriff sich schon zum Frühstück betrinkt.« »Etienne?« fragte Cædmon erschrocken. »Oh, verflucht …«
»Jetzt fang nicht gleich an, dir Vorwürfe zu machen. Sind wir mal ehrlich, er hat immer zuviel getrunken. Und seit sein Bruder mit Ralph deGael gegen den König rebelliert hat und in Ungnade ist, ist es schlimmer geworden.«
Ja, und seit er weiß, daß sein bester Freund ihn mit seiner Frau betrogen hat, noch ein bißchen schlimmer, dachte Cædmon, aber was er sagte, war: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Etienne seine Pflichten vernachlässigt. Gewissenhaftigkeit liegt einfach in seiner Natur, egal wieviel er trinkt.«
Eadwig hob die Schultern. »Mag sein. Wenn du meinst, der König habe ein besonders kritisches Auge auf deinen einstigen Freund geworfen, hast du vermutlich recht. Er traut ihm nicht mehr so recht, seit Etiennes Bruder versucht hat, ihn zu stürzen.«
»Aber das ist lächerlich, Etienne würde den König niemals verraten. Wie kommt er nur darauf? Dir und mir hat er nie angelastet, was Dunstan getan hat.«
»Wir haben Dunstan auch nicht wöchentlich im Kerker besucht, um ihm wollene Decken und gebratene Hühnchen zu bringen.«
»Tut Etienne das?« fragte Cædmon und fuhr sich müde über die Stirn. »Nun, ich würde sagen, das muß man ihm hoch anrechnen. Roger ist und bleibt sein Bruder. Dunstan war so rücksichtsvoll, sich einen Dolch ins Herz zu stoßen, deswegen ist dir und mir dieses Dilemma erspart geblieben. Aber wie kann William nur glauben, Etiennes Mitgefühl für seinen Bruder sei Anlaß zu Mißtrauen?«
Eadwig hob unbehaglich die Schultern. »Ich weiß nicht, Cædmon. Du kennst den König viel besser als ich, aber mir kommt es manchmal so vor, als sei ihm jeder Anlaß zu Mißtrauen recht, ganz gleich wie klein. Und je älter er wird, desto mißtrauischer wird er.«
Rouen, Juni 1077
Aus möglichst großer Entfernung beobachtete Cædmon, wie Rufus und Henry den König, die Königin und ihren älteren Bruder Robert begrüßten. Auch das mitgereiste Gefolge drängte in die Halle, alte Freunde und Brüder begrüßten einander nach Monaten oder gar Jahren der Trennung, es war ein ganz und gar unnormannisches Durcheinander. Vergeblich suchte Cædmon an der unteren linken Tafel nach Wulfnoths Gesicht.
Als das allgemeine Gedränge sich zu lichten drohte, ging er nach vorn an die hohe Tafel, um das Unvermeidliche hinter sich zu bringen, und kniete vor dem König nieder, der in eine Unterhaltung mit seinem Ältesten vertieft war.
»Mein König.«
William ignorierte ihn völlig, ließ ihn eine geraume Zeit schmoren, ehe er vorgab, ihn zufällig zu entdecken.
»Ah. Cædmon of Helmsby. Erhebt Euch, Thane. Willkommen in Rouen.«
Erleichtert stand Cædmon auf. »Danke, Sire.« Er verneigte sich vor der Königin. Matilda bedachte ihn mit einem eisigen Blick und deutete ein Nicken an.
Cædmon rieb sich das Kinn an der Schulter und wandte sich wieder an den König. Ihre Blicke trafen sich. William erkannte sein Unbehagen und seine Nervosität, und die schwarzen Augen funkelten boshaft. »Ihr erinnert Euch an meinen Sohn?«
Cædmon verneigte sich wiederum, dieses Mal vor dem Prinzen. »Robert.«
Der junge Mann schien die angespannte Atmosphäre überhaupt nicht wahrzunehmen und schenkte Cædmon ein unkompliziertes, aufrichtiges Lächeln. »Cædmon. Wie schön, Euch wiederzusehen, Monseigneur.«
Cædmon wunderte sich flüchtig über die förmliche Anrede. Sie waren nicht sehr lange gemeinsam durch Jehan de Bellêmes harte Schule gegangen, aber doch lange genug, um Schweiß und Blut und Tränen zusammen vergossen zu haben, und das machte Förmlichkeiten ein wenig lächerlich. All seine Freunde aus jener Zeit haßten ihn heute, aber sollten sie je wieder mit ihm reden, würde sicher keiner auf die Idee kommen, »Monseigneur« zu ihm zu sagen.
Doch er antwortete ebenso förmlich: »Ich danke Euch, Monseigneur.« William entließ ihn mit einem nachlässigen Wink der eher beleidigenden Sorte. »Ich erwarte, daß Ihr Euch zu meiner Verfügung haltet, Thane. Das bedeutet, Ihr verlaßt diese Burg nicht ohne meinen ausdrücklichen Befehl.«
Cædmon biß die Zähne zusammen, nickte und wandte sich ab. Er ging gemessenen
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