Das zweite Königreich
Schrittes, hatte Zeit zu sehen, daß Eadwig und Rufus sich angeregt mit Edgar Ætheling, dem angelsächsischen Prinzen, unterhielten, und daß Henry ein wenig verloren, doch mit stoischer Mienezwischen dem Bischof von Avranches und seiner Cousine Judith saß. Als er die Halle hinter sich ließ, atmete Cædmon erleichtert auf und wandte sich zur Treppe, aber er mußte nicht bis in den dritten Stock hinaufsteigen, um den Mann zu finden, den er suchte.
Wulfnoth Godwinson wartete in der Vorhalle auf ihn. Sie sahen sich einen Moment in die Augen, umarmten sich herzlich, und dann führte Wulfnoth ihn die Treppen hinauf zu seinem Quartier, öffnete die Tür und hieß ihn mit einer Geste eintreten, ehe sie auch nur ein Wort gesprochen hatten.
Nachdem er die Tür zugezogen hatte, wies Wulfnoth auf den Tisch. »Du siehst, wir werden weder verhungern noch verdursten.«
Cædmon setzte sich, zückte sein Messer und schnitt sich ein Stück von dem reifen, saftigen Käse ab, während er mit der anderen Hand nach dem Krug griff und Wein einschenkte. Das Wunderbare an einem Wiedersehen mit Wulfnoth war, daß es immer so vonstatten ging, als hätten sie sich gestern erst getrennt.
Wulfnoth nahm ihm gegenüber Platz, bediente sich ebenfalls von dem Käse und brach ein Stück Brot ab. »Ich habe dir doch immer gesagt, sie liebt dich«, bemerkte er zwischen zwei Bissen.
»Das hast du«, stimmte Cædmon zu. »Und was ist aus der geheimnisvollen verheirateten Dame geworden, für die du den Kopf zu riskieren pflegtest? Ich weiß noch, daß ich dich sehr dafür bewundert habe. Vermutlich ist all dies nur passiert, weil ich dir nacheifern wollte.«
Wulfnoth lächelte flüchtig. »Wobei zu bedenken ist, daß ich nie so viel zu verlieren hatte wie du. Meine geheimnisvolle Dame ist genau wie deine kurz nach der Eroberung ihrem Gemahl nach England gefolgt. Inzwischen hat sie mich sicher längst vergessen. So wie ich sie. Du siehst, es war keine so unsterbliche Liebe wie deine.«
Cædmon nickte versonnen, ehe er ohne Verlegenheit das Thema wechselte. »Ich habe gesehen, daß Prinz Edgar hier ist. Ich meinte gehört zu haben, er sei geflohen und zu seinem Schwager, dem König von Schottland, gegangen.«
»Nun ja«, sagte Wulfnoth mit vollem Mund, kaute und schluckte. »Ich erzähle dir sicher nichts Neues, wenn ich sage, daß es verschiedene Kategorien von Geiseln gibt. Zum einen gibt es die unnützen, vergessenen Geiseln. Dazu zähle ich. Dann gibt es die, die in Wahrheit politische Gefangene sind, dazu gehört der arme Morcar.«
»Wo ist er eigentlich?« unterbrach Cædmon.
Wulfnoth schüttelte den Kopf. »Nicht mehr in Rouen. Der König hat ihn Roger de Beaumont übergeben, der ihn auf einer seiner Burgen gefangenhält. Ich möchte wahrlich nicht mit Morcar tauschen. Und dann gibt es die mächtigen Geiseln mit politischem Einfluß. Dazu gehört Edgar Ætheling. Er zählt zu Prinz Roberts engsten Vertrauten und kommt und geht, wie es ihm beliebt. Ein wirklich weitgereister junger Mann, glaub mir. Mal in Flandern, mal in Schottland, mal in Paris.« »Bei König Philip?« fragte Cædmon ungläubig. »Du meinst, er paktiert mit Williams Feinden? Wie kann er dann Roberts Freund sein?«
»Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, daß er paktiert. Vielleicht tut er es, ich bin nicht sicher. Aber wenn Robert ihn gewähren läßt, dann sicher mit dem Einverständnis seines Vaters. Edgar ist ein schwacher Charakter. Er wechselt ständig die Seiten, auf ihn ist kein Verlaß. Du weißt es, ich weiß es, William weiß es und seine Feinde ebenso. Niemand käme im Traum darauf, Edgar noch zu trauen, darum ist er harmlos.« »Niemand außer Robert, wie es scheint«, gab Cædmon zu bedenken. »Und schwacher Charakter hin oder her, Edgar ist ein angelsächsischer Prinz. Ich könnte mir vorstellen, daß er schon aufgrund dieser Tatsache ein wertvolles Pfand für Williams Feinde darstellt.«
Wulfnoth betrachtete ihn lächelnd. »Dafür, wie schauderhaft der König dich behandelt hat, liegen seine Interessen dir bemerkenswert am Herzen.«
Cædmon winkte seufzend ab. »Hast du eigentlich je daran gedacht, ihn mal zu fragen, ob er dich nicht endlich nach Hause lassen will?«
Wulfnoth nickte. »Letzte Woche noch. Und stell dir nur vor, Cædmon, er hat nein gesagt.«
Cædmon starrte trübsinnig auf die Tischkante. Manche Dinge, so schien es, änderten sich einfach nie.
»Erzähl mir von dir, Cædmon. Niemand sagt mir besonders viel, aber ich habe mit
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