Das zweite Königreich
weit käme.« Edgar fegte das beiseite. »Aber Euch gehört halb Norfolk, sagt man.« »Man übertreibt. Außerdem baue ich eine Kirche, wenn ich nicht gerade eingesperrt bin, und die hat alles verschlungen, was ich in den letzten Jahren verdient habe.«
Der englische Prinz sah ihm in die Augen und erklärte eindringlich: »Ich weiß, daß Ihr gute Beziehungen zu den Juden von Winchester unterhaltet. Ihr könntet die nächste Ernte beleihen, und das Geld könnte in wenigen Tagen hier sein. Die nötigen Botengänge werde ich gern für Euch übernehmen. Ohne daß der König etwas davon bemerkt. Denkt darüber nach.«
»Das werde ich.«
Edgar stützte die Hände auf den Tisch, als wolle er sich erheben, und dann fiel ihm noch etwas ein. »Ach, eines noch, Thane …«
»Ja?«
»Ich hätte gern Euer Wort darauf, daß diese Unterredung unter uns bleibt.«
Cædmon hätte ihm sein Wort ohne zu zögern gegeben, hätte keine so unmißverständliche Drohung in der Stimme des Prinzen gelegen. Er zögerte unwillig, und Edgar erhob sich ohne Eile und beugte sich lächelnd zu ihm hinab. »Ich würde den König nur höchst ungern davon in Kenntnis setzen, was Rufus und Euer Bruder miteinander treiben, wenn sie sich unbeobachtet glauben. Ich bin sicher, William wäre zutiefst erzürnt. Er setzt so große Hoffnungen auf Rufus, seit Richard tot ist, nicht wahr? Seine Enttäuschung wäre sicher bitter.«
Cædmon wandte abrupt den Kopf ab, und Edgar beugte sich noch näher heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Was, denkt Ihr, würde William Eadwig wohl abhacken lassen, um ihn angemessen zu bestrafen?«
Cædmon stand auf und sah dem Prinzen in die Augen. »Ihr habt mein Wort, Mylord. Aber täuscht Euch nicht. Mein Bruder trägt allein die Verantwortung für das, was er tut. Glaubt lieber nicht, Ihr könntet mich mit dem, was Ihr zu wissen glaubt, erpressen.«
Der englische Prinz schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf. »Aber ganz gewiß nicht, Thane.« Er lachte leise, zwinkerte Cædmon vertraulich zu und schlenderte davon.
Cædmon hatte nicht die Absicht gehabt, den kranken Jehan de Bellême zu besuchen. Siechtum flößte ihm Unbehagen ein. Außerdem war Abscheu immer noch die überwiegende Empfindung, wenn er an seinen einstigen Lehrer dachte. Er wußte, daß er allein Jehan die Heilung seines lahmen Beins verdankte. Und die Künste, die Techniken und die üblen Tricks, die der alte Haudegen ihm beigebracht hatte, hatten sich oft als nützlich erwiesen, ihm vermutlich das ein oder andere Mal das Leben gerettet. Doch man mußte die Dinge nur schwarz genug sehen, um zu der Frage zu gelangen, ob ihm nicht allerhand erspart geblieben wäre, wenn er ein Krüppel geblieben oder bei der Schlacht um Lincoln gefallen wäre. Je länger er darüber nachsann, um so überzeugter war er, daß Jehan ihm nichts als Bärendienste erwiesen hatte, wahrscheinlich aus purer Bosheit.
Nichtsdestotrotz begann sein Gewissen ihn zu plagen, nachdem Wulfnoth ihm sagte, Jehan habe den Wunsch geäußert, Cædmon noch einmal wiederzusehen. Und als er hörte, der Zustand des alten Soldaten habe sich verschlechtert und es gehe wohl zu Ende, beschloß er unwillig,sich der lästigen Pflicht zu entledigen, ehe Jehan verrecken und ihn, sozusagen als letzte Gehässigkeit, mit heftigen Gewissensbissen zurücklassen konnte.
Widerwillig stieg er die Stufen zum obersten Geschoß hinauf, ging den dämmrigen Korridor entlang und öffnete die Tür, ehe er es sich anders überlegen konnte.
Die kleine, beinah unmöblierte Kammer stank nicht nach Krankheit, Urin und Fäulnis, wie er erwartet hatte. Die helle Sommersonne schien durch das kleine Fenster und malte ein gleißendes Rechteck auf die grauen Steinfliesen. Irgendwer hatte einen Strauß aus wilden Sommerblumen in einem Zinnbecher auf den Tisch gestellt. Cædmon erkannte Salbeiblätter und Rosmarinzweige darin, die einen schwachen, durchaus angenehmen Duft verströmten.
Ein wenig erleichtert trat er an das schlichte, eher schmale Bett mit den schmucklosen, fadenscheinigen Behängen. Jehan hatte den Kopf zur Tür gewandt und sah ihm entgegen. Der kugelrunde Glatzkopf war unglaublich runzlig geworden. Er wirkte geschrumpft und unvorstellbar alt. Das narbige, zerfurchte Gesicht war verzerrt, ein Mundwinkel hing herab, und ein dünner Speichelfaden war herausgelaufen. Aber die dunklen Augen waren so klar, schienen so grausam und scharf wie eh und je.
Der noch bewegliche Mundwinkel zuckte aufwärts. »Du
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