Das zweite Königreich
Junge ist gut, Cædmon. Hast du ihm das beigebracht?«
Cædmon schüttelte den Kopf. »Mein Vetter Alfred. Ich kann kaum mit einer Axt umgehen. Schließlich bin ich hier ausgebildet worden.« »Da fällt mir ein, warst du bei Jehan?« fragte Wulfnoth, ohne die Kämpfenden aus den Augen zu lassen.
»Ja, sicher. Das Gespräch wurde gerade interessant, als der König kam und uns unterbrach … Jetzt, Eadwig, jetzt ist er unten offen.«
Cædmon hatte nur leise gemurmelt, aber sein Bruder brauchte seine Ratschläge nicht. Er entdeckte die Lücke in der Verteidigung des Gegners, rammte die Axt seitlich in dessen Schild, riß ihn ihm aus der Hand und ließ den langen Eschenschaft der Axt gleichzeitig wie einen Knüppel auf seinen rechten Oberarm niedersausen, so daß Montgomery das Schwert fallenließ und mit zusammengebissenen Zähnen die Linke um den getroffenen Arm krallte.
Eadwig ließ die Waffe sinken, trat einen Schritt zurück und verneigte sich grinsend vor seinem Gegner. »Nichts für ungut, Montgomery.« Die Zuschauer applaudierten, Rufus’ Fraktion jubelte.
Der Verlierer zeigte ein etwas mühsames Lächeln.
Cædmon und Wulfnoth wandten sich ab und wollten davonschlendern, als ein Bote in den Hof preschte. Genau vor ihnen sprang er aus dem Sattel, sah erst Wulfnoth an, dann Cædmon und verneigte sich. »Thane, wo finde ich den König?«
Cædmon betrachtete ihn neugierig. Trotz des normannischen Haarschnitts war der junge Mann Engländer, und er kam ihm vage bekannt vor, aber er wußte nicht, woher. »Kommt mit mir, ich bringe Euch zu ihm.«
Eilig überquerten sie den Innenhof, und der Bote sah Cædmon mit einem verschämten, kleinen Lächeln an. »Ich schätze, Ihr habt mich in keiner sehr guten Erinnerung, nicht wahr, Thane?«
»Um ehrlich zu sein, ich bin nicht sicher.«
»Bei unserer letzten Begegnung habe ich Rotwein über Euer Gewand geschüttet. Es war gewiß ruiniert.«
Cædmon blieb stehen und studierte sein Gesicht. Jetzt erkannte er ihn. Er war der Page gewesen, der ihm damals in Winchester Aliesas Nachricht überbracht hatte. »Natürlich. Ich erinnere mich. Ich habe Euch danach nie wiedergesehen. Wohin seid Ihr so plötzlich verschwunden?«
Der Bote ging weiter neben ihm her und hob kurz die Schultern. »Mein Bruder starb, und ich mußte zurück nach Hause. Aber seit zwei Jahren stehe ich wieder im Dienst des Königs. Ich war mit ihm bei der Belagerung von Dol«, sagte er stolz.
»Wie ist Euer Name?«
»Toki Wigotson.«
»Euer Vater ist Wigot of Wallingford?«
»Ja. Ihr kennt ihn?«
»Ich kenne jeden englischen Edelmann, der noch ein bißchen Land hält. Euer Vater hält nicht gerade wenig.«
»Das ist wahr. Er hat dem König von Anfang an treu gedient, Thane. So wie Ihr.«
Cædmon zog eine verstohlene, schmerzliche Grimasse und wechselte das Thema. »Bringt Ihr gute oder schlechte Nachrichten?«
Toki seufzte. »Miserable.«
Cædmon brachte ihn in die Halle und klopfte ihm kurz die Schulter. »Dann trinkt lieber einen Schluck, ehe Ihr sie dem König verkündet. Ich gehe ihn holen.«
Toki stahl einem vorbeihastenden Diener einen vollen Becher aus der Hand, trank durstig und nickte. »Beeilt Euch nicht gar zu sehr.«
Cædmon wandte sich grinsend ab und stieg wieder die Treppe ins Obergeschoß hinauf. Er klopfte leise an Jehans Tür, ehe er eintrat.
William saß auf der Bettkante und hielt den so schaurig abgemagerten Oberkörper des Kranken in den Armen, der geschrumpfte Glatzkopf ruhte an seiner breiten Schulter.
Als er das Knarren der Tür hörte, sah der König auf. Die schwarzen Augen waren voller Trauer und schimmerten verdächtig.
Beklommen trat Cædmon näher. Jehan lag vollkommen still in den Armen des Königs, der mühsame Atem war verstummt. Cædmon senkte den Blick und bekreuzigte sich.
»Es tut mir leid, Sire«, sagte er unbeholfen. Es war ihm unangenehm, William so erschüttert zu finden. Und er verabscheute ihn dafür, daß er um ein Ungeheuer wie Jehan de Bellême mehr trauerte als um seinen eigenen Sohn.
»Er wollte unbedingt noch einmal mit Euch sprechen«, sagte William leise.
Cædmon fiel keine angemessene Erwiderung ein. William bettete den Toten behutsam auf sein Kissen und stand auf. Cædmon sah auf das alte, todesstille Gesicht hinab und dachte: Jetzt hast du dein Geheimnis also doch mitgenommen, Jehan. Vermutlich würden sie alle noch Anlaß haben, das zu bedauern, aber Cædmon war nichtsdestotrotz erleichtert, dieser Bürde entronnen zu sein.
»Er
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