Das zweite Königreich
»Wenn Ihr Euch da nur nicht täuscht. Sicher, Robert beherrscht die Normandie. Aber William beherrscht Robert.«
»Fragt sich nur, wie lange noch«, raunte Edgar. »Robert hat viele mächtige Freunde in der Normandie und unter seinen Nachbarn. In Flandern, im Anjou, in der Bretagne, sogar bis hinunter nach Aquitanien.« »Und in Paris?« erkundigte sich Cædmon und sah ihm in die Augen. Edgar hob langsam die Schultern. »Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls hat er sie hier. Williams Vertraute werden alt und sterben oder sind mit ihm nach England gegangen. Ihre Söhne herrschen hier jetzt über Ländereien und Burgen, und sie sind Roberts Freunde. Männer in unseremAlter, Thane. Junge Männer mit Visionen, die an die Zukunft denken. An die Zukunft der Normandie und Englands. Versteht Ihr, was ich sagen will?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
Der englische Prinz verdrehte ungeduldig die Augen und senkte die Stimme. »Es wird Zeit, daß der König Robert von der Leine läßt. Ihm die Normandie überträgt, alleinverantwortlich.«
Cædmon lachte leise. »Ihr meint, William solle Robert zum Herzog der Normandie machen? Eher friert die Hölle ein, mein Prinz.«
»Wenn er es nicht freiwillig tut, muß man ihn eben zwingen«, erwiderte der Prinz mit mühsam unterdrückter Heftigkeit.
Cædmon hob seinen Becher an die Lippen und trank. Dann stellte er ihn versonnen zurück auf das Tischtuch und sagte: »Ich glaube, es wäre besser, Ihr sprächet nicht weiter, Mylord. Es hört sich zu sehr nach Hochverrat an. Und auch wenn es zwischen dem König und mir derzeit nicht zum besten steht, bin ich dafür nicht zu haben.«
»Was ist verräterisch daran, daß ein Sohn seinem Vater gegenüber einen berechtigten Anspruch anmeldet?« fragte Edgar ungerührt.
»Den Anspruch hat Robert erst an dem Tag, da sein Vater aus dieser Welt scheidet.«
»Aber wieso? Selbst der mächtige William kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein. Er hat es oft genug versucht, aber sobald er hier ist, rebellieren seine englischen Adligen, ist er dort, gibt es hier Unruhe. Es wäre nur vernünftig, die beiden Machtbereiche zu trennen.«
Cædmon nickte unverbindlich. Er hatte lange genug unter Normannen gelebt, um mit einem Nicken Ablehnung ausdrücken zu können. »Und warum sagt Ihr mir all dies, Mylord? Mein ohnehin seit jeher geringer Einfluß auf den König hat seinen absoluten Tiefstand erreicht. Wozu wollt Ihr mich also überzeugen?«
Edgar grinste ebenso verschwörerisch wie entwaffnend. »Euer Einfluß auf ihn war und ist nicht so gering, wie Ihr Euch und andere glauben machen wollt. Er war beispielsweise groß genug, um mein Leben zu retten. Denkt nicht, ich wüßte nicht, was ich Euch verdanke, Thane.«
Cædmon kam die Frage in den Sinn, ob er England damit einen so großen Gefallen getan hatte. »Ihr irrt Euch. Das war allein seine Entscheidung. Er hat durchaus ein Gewissen, auch wenn man es nicht immer merkt. Er hat Euch geschont, weil Ihr ein schutzloses Kind wart.Seinem christlichen Mitgefühl verdankt Ihr Euer Leben, und darum solltet Ihr wirklich keine Ränke gegen ihn schmieden.«
Der Prinz fuhr nicht entrüstet auf. Er winkte nur ungeduldig ab. »Es ist bewundernswert, wie Ihr zu ihm steht. Aber es wird Zeit, daß Ihr anfangt, darüber nachzudenken, was es Euch letztlich eingebracht hat. Land? Nun, das könnte Robert Euch hier auch geben, wenn die Normandie ihm gehörte. Und er könnte eine gewisse Dame aus einem gewissen Kloster holen. Niemand in England könnte ihn hindern. Niemand dort bräuchte es überhaupt je zu erfahren.«
Cædmon saß vollkommen reglos und starrte in seinen Becher. Es war lange still. Schließlich fragte er leise: »Und was ist es, das Robert dafür will?«
Edgar Ætheling lächelte zufrieden. »Geld, natürlich. Das ist es, was er zur Verfolgung seiner Absichten am dringendsten benötigt.«
Cædmon glaubte eher, daß Geld letztlich das eigentliche Ziel dieser Absichten war. Sowohl Lanfranc als auch Bischof Odo hatten Cædmon im Vertrauen gestanden, daß sie sich um Roberts Verschwendungssucht sorgten. Der Prinz liebte Pracht und Pomp wie jeder Mann seiner Familie, aber anders als sein Vater und seine Onkel verstand er es nicht, Geld in dem Maße einzunehmen, wie er es ausgab, und seine impulsive, oft übertriebene Freigebigkeit seinen Günstlingen gegenüber war berüchtigt.
»Ich trage etwa ein Pfund und sieben Schilling in Silbergeld in meinem Beutel, Mylord. Ich glaube kaum, daß Prinz Robert damit
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