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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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nur in den Toten zu schätzen wißt und die Lebenden, die sie Euch entgegenbringen, immer mit Füßen tretet?«
    Der König starrte ihn einen Moment an. Keiner seiner Brüder, seiner engsten Vertrauten, erst recht keiner seiner Söhne hätte je gewagt, so etwas zu ihm zu sagen, und mehr als alles andere war er verblüfft. Er schien einen Augenblick unsicher, als könne er sich nicht so recht entschließen, ob er sich beruhigen oder seinem berüchtigten Jähzorn freien Lauf lassen sollte. Und dann sagte eine sanfte Stimme hinter ihm: »Ist es der treue Toki Wigotson, der uns Nachricht bringt, mon ami ?«
    William fuhr leicht zusammen wie ein ertappter Eierdieb, wandte sich um und verneigte sich knapp vor seiner zierlichen Frau. »So ist es, Madame.«
    Matilda trat lächelnd zu ihm, legte für einen Moment die Hand auf seinen Arm und sagte: »Willkommen in Rouen, Toki.«
    Cædmon glitt zur Seite, betrachtete die Königin, die neben ihrem Gemahl so puppenhaft winzig wirkte, voller Bewunderung und fragte sich, wie lange sie wohl schon unbemerkt in der Tür gestanden hatte.
    Der junge Bote schluckte sichtlich. »Danke, Madame. Ich fürchte nur, meine Neuigkeiten werden auch Euch nicht willkommen sein.«
    Matilda zeigte ihr huldvollstes Lächeln, das zu Cædmons Verwunderung auch einen Moment in seine Richtung erstrahlte. »Doch gewiß weiß der König Eure wahre Treue zu schätzen, die Ihr ihm beweist, indem Ihr auch das Unangenehme ungeschönt zur Sprache bringt, nicht wahr, Sire?«
    »Ähm … Ihr habt natürlich recht, Madame«, murmelte der König abwesend.
    Cædmon blieb kaum Zeit für ein verstohlenes Grinsen, ehe William zu ihm herumfuhr und befahl: »Macht meine Söhne und Kommandanten ausfindig, bittet sie zu mir, und schickt Boten an meine Vasallen. Wir rücken aus, sobald die Truppen versammelt sind.«
    »Ja, Sire.«
     
    Simon de Vexins plötzliche fromme Anwandlung erregte Verwunderung, fruchtlose Debatten und unangebrachte Heiterkeit. Mehr oder minder offen wurde darüber spekuliert, was die gute Judith an sich gehabt haben mochte, das den armen Simon so fürchterlich erschreckt hatte, daß er sich und seine blutjunge Braut ins Kloster verbannte.
    Doch die Folgen dieser seltsamen, wenn auch keineswegs beispiellosen Tat waren alles andere als erheiternd. Philip von Frankreich stand auf einmal vor Williams Haustür. Das Vexin war seit langem sowohl Frankreich als auch der Normandie lehnspflichtig gewesen, hatte praktisch eine neutrale Zone gebildet, ein dickes Kissen, das so manche Erschütterung abfederte. Jetzt war es plötzlich in Philips Hand. An der entgegengesetzten Grenze lauerte die Bedrohung durch den abtrünnigen Ralph de Gael und seine bretonischen Streitkräfte. Und alle befürchteten, daß Malcolm, der König von Schottland, nicht lange zögern würde, die Gunst der Stunde zu nutzen und an der Nordgrenze des anglo-normannischen Reiches eine dritte Front zu eröffnen. Williamwar nach wie vor der mächtigste Herrscher dies- und jenseits des Kanals, sein Territorium unangetastet. Doch plötzlich wurde es von allen Seiten bedroht.
     
    »Wir überschreiten die Grenze bei St. Clair und besetzen das Vexin. In drei, vier Tagen stehen wir vor Mantes«, sagte Robert.
    Doch der König schüttelte den Kopf. »Wir tun nichts dergleichen. Wir ziehen mit ein-, zweitausend Mann an die Grenze und zeigen Philip unsere Stärke. Das ist vorerst alles.«
    »Aber Vater, Ihr wollt Euch diese Beleidigung einfach gefallen lassen?« »Wieso beleidigt es uns, wenn Philip das Vexin besetzt?« wandte Rufus ein. »Es gehört uns doch gar nicht. Beleidigt sein könnte höchstens Simon, aber der übt sich ja neuerdings in mönchischer Armut und überläßt sein Reich Philip sicher gern.«
    Die Männer, die sich im Privatgemach des Königs versammelt hatten, lachten leise, aber Robert funkelte seinen Bruder wütend an. »Ich kann weiß Gott nichts Komisches an dieser Situation erkennen. Im übrigen geht die Sache dich überhaupt nichts an, also halt den Mund und kümmere dich um deine englischen Angelegenheiten.«
    »Erlaube mal«, widersprach Rufus mit hochgezogenen Brauen. »Alles, was in der Normandie und an ihren Grenzen passiert, ist eine englische Angelegenheit. Außerdem ist dein Vorschlag dumm und kurzsichtig und …«
    »Sieh dich vor, Rufus …«, knurrte Robert und machte einen drohenden Schritt auf seinen jüngeren Bruder zu.
    »Schluß«, befahl der König, sein Tonfall ebenso barsch wie beiläufig, als seien sie

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