Das zweite Königreich
diesen Edgar Ætheling verabscheue«, stieß Eadwig angewidert hervor. »Er ist schlüpfrig wie ein Aal und schlau wie ein Fuchs und verschlagen wie eine Katze und …«
»Katzen sind nicht verschlagen«, protestierte Henry. »Sie sind stolz und unvergleichliche Jäger. Ich mag Katzen gern. Außerdem ist der englische Prinz Roberts Freund, und du solltest solche Dinge nicht über ihn sagen.«
Eadwig sah mit einem reumütigen Lächeln auf den Jungen hinab.
»Henry hat recht«, bemerkte Cædmon. »Du solltest achtgeben, was du redest, Eadwig. Hier haben die Wände Ohren.«
»Aber wir stehen ja glücklicherweise im Freien«, murmelte sein Bruder und hob die Hand, um die langen Haare hinter sein linkes Ohr zurückzustreichen,doch er griff ins Leere. Unbewußt fuhr er sich über den neuerdings kurzen Schopf. Vor zwei Tagen hatte er sich das Haar nach normannischer Sitte schneiden lassen. Es war der Preis für eine verlorene Wette gewesen, die er im Vollrausch mit dem jungen Montgomery eingegangen war. Cædmon hatte keine Ahnung, was der Gegenstand dieser Wette gewesen war, wollte es auch gar nicht wissen. Das einzige, was er mit Sicherheit wußte, war, daß sie alle Langeweile hatten, immer übellauniger wurden und die Neigung, Dummheiten zu begehen, mit jedem Tag stieg. Das galt für ihn ebenso wie für seinen Bruder, die Prinzen und ihr Gefolge. Er verschränkte seufzend die Arme und lehnte sich mit dem Rücken an die Stallwand im Hof der unscheinbaren kleinen Burg.
»Gräm dich nicht, Eadwig. Sie wachsen ja wieder.«
»Hoffentlich bald«, sagte sein Bruder mit einem so unglücklichen Seufzer, daß Leif und Rufus lachten.
»Jedenfalls hast du völlig recht, was Prinz Edgar angeht«, meinte Rufus. »Ich sage, er ist eine Natter, und mir ist gleich, wer mich hört. Immerzu lächelt er.«
Leif sah fragend zu Cædmon. »Mir ist aufgefallen, daß er in letzter Zeit ständig deine Nähe sucht. Was will er von dir?«
»Geld«, erwiderte Cædmon knapp.
Die anderen nickten wortlos. Nur Henry fragte: »Wofür?«
Es herrschte ein kurzes Schweigen, ehe sein Bruder ihm leicht die Hand auf die Schulter legte und erklärte: »Für Robert, Henry. Unser Bruder hat Schulden.«
»Oh. Warum? Er hält mehr Land als du und ich zusammen.«
Sie sahen ihn verblüfft an. Für einen neunjährigen Jungen wußte Henry manchmal die erstaunlichsten Dinge. Vermutlich liegt es daran, daß er ein so ausgezeichneter Zuhörer und Beobachter ist und so still, daß viele dazu neigen, seine Anwesenheit zu ignorieren und einfach zu reden, als sei er gar nicht da, fuhr es Cædmon durch den Kopf. In dieser Hinsicht war Henry genau wie Guthric, der schon als Junge in Helmsby immer die bestgehüteten Geheimnisse gekannt hatte und diese Gabe heute als rechte Hand des mächtigen Erzbischofs äußerst nützlich fand. Rufus seufzte. »Um ehrlich zu sein, mir ist auch nicht so recht klar, wieso Robert Geldsorgen hat. Weißt du es, Cædmon?«
Er schüttelte den Kopf. »Edgar Ætheling beschränkt sich auf vielsagende Andeutungen.«
»Aber er ist hartnäckig«, bemerkte Rufus. »Womit versucht er dich zu ködern, he?«
Cædmon sah ihn eindringlich an. »Das braucht dich nicht zu kümmern. Aber ihr alle solltet euch vor ihm hüten. Das gilt vor allem für dich.«
Rufus hob unbehaglich die Schultern und gab vor, die Warnung nicht zu verstehen. »Oh, ich weiß, daß er mich verabscheut, weil er glaubt, mein Vater ziehe mich Robert vor.«
»Robert glaubt das auch«, murmelte Leif.
Es herrschte ein kurzes, unbehagliches Schweigen.
»Wenn wir doch nur endlich aus diesem elenden Drecksloch abziehen würden«, sagte Henry sehnsüchtig. »Ich wünschte, wir wären daheim in England.«
Cædmon empfand genauso.
Er hatte nichts dagegen gehabt, in Rouen zu sein, denn dort war Wulfnoth, dessen Gesellschaft ihm gutgetan hatte. Die Geduld, mit der Wulfnoth Godwinson sein Schicksal hinnahm und seine nun schon fast fünfundzwanzigjährige Geiselhaft ertrug, seine Selbstironie und die beinah heitere Gelassenheit waren ein Beispiel, das Cædmon beschämt und ebenso aufgerichtet hatte. Sie hatten die Laute gespielt, in Wulfnoths Büchern gelesen und geredet, und Cædmon hatte beinah körperlich gespürt, wie heilsam diese Freundschaft für ihn war. Doch als dann die Krise im Vexin eintrat, hatte der König ihn plötzlich vollkommen in Anspruch genommen, und sie alle waren ausgerückt und zogen nun seit Monaten von Burg zu Burg, um die Grenze zu sichern und zu
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