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Das zweite Königreich

Das zweite Königreich

Titel: Das zweite Königreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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tragen. Lautlos schlich Cædmon zum Waldrand, legte sich auf den farn- und moosbedeckten Boden und robbte durchs Gebüsch, bis er einen klaren Blick auf die Mühle hatte. Nichts rührte sich. Die Asche des Mittsommerfeuers auf der Wiese rauchte noch hier und da, und wahrscheinlich litten auch die Leute von Metcombe an den Folgen der vergangenen Nacht. So betrachtet, hätte er kaum einen besseren Tag für diesen Besuch wählen können. Die Morgensonne begann zu klettern, fand hier und da einen Weg durch das Laub der Bäume und Sträucher und wärmte ihm den Nacken. Er konnte warten. Er hatte schon schlechter und kälter und nasser auf der Lauer gelegen. Verträumt rupfte er einen Grashalm aus, steckte ihn zwischen die Lippen und dachte an seine Frau, die jetzt vielleicht den halben Weg zu ihrem Bruder zurückgelegt hatte. Er fragte sich, was sie wohl vorfinden würde. Vor allem um ihretwillen hoffte er, daß Lucien Einsicht zeigen werde. Cædmon wußte genau, daß Aliesa mit der Ablehnung des Hofes und des normannischen Adels leben konnte, wenn nur ihr Bruder zu ihr stand. Er stützte das Kinn auf die verschränkten Hände und malte sich die Zukunft aus, überlegte, wie es wohl sein würde, wenn sie eine Tochter oder einen Sohn bekämen, was geschehen würde, wenn der König zurückkam, ob es Krieg mit Schottland geben mochte und ob sie endlich Ruhe vor den Dänen haben würden. All diese Fragen beschäftigten seine Gedanken so sehr, daß er kaum wahrnahm, wie die Zeit verging. Als die Tür zur Mühle sich endlich öffnete, war es fast Mittag.
    Gytha trat aus dem Haus, einen Leinenbeutel in der Hand. Cædmon lächelte unwillkürlich, als er sie sah. Gytha mußte um die Dreißig sein, war eine gestandene Frau und hatte inzwischen sieben Söhne geboren. Nicht mehr das gertenschlanke, scheue Mädchen, das nach Rauch und Milch roch. Doch die ungezierte, natürliche Anmut war immer noch dieselbe, und ihr Anblick berührte Cædmon auf die gleiche Weise wie eh und je.
    Hengest folgte ihr ins Freie, sagte etwas, und Gytha nickte, reichte ihm den Beutel und sah sich nervös um. Der Müller hängte sich den Lederriemen über die Schulter und ging mit langen Schritten davon.
    Cædmon wartete, bis die Wiese wieder verlassen dalag und die Tür zur Mühle sich geschlossen hatte. Dann gab er sein Versteck auf, lief zu dem großen Holzgebäude hinüber und trat ein.
    Gytha stand am Herd und fuhr erschrocken herum, als sie die Tür hörte.
    Er sah sich kurz in dem großzügigen Raum um und fand sich an die eisige Winternacht erinnert, als er hier Obdach vor dem Schneesturm gefunden hatte. Keine Kühe standen heute in der Ecke hinter dem Herd – sie waren zweifellos auf der Weide. Aber drei kleine Jungen spielten im Stroh am Boden.
    »Gytha.«
    Sie starrte ihn unverwandt an. »Da bist du also.«
    Er lachte leise. »Da bin ich. Kein Grund, wie ein verschrecktes Reh dazustehen. Leg den Schürhaken weg. Ich bin es nur.«
    Abwesend legte sie den mit Asche bestäubten Eisenstab auf den Tisch und die Hände um die Oberarme, so als sei ihr kalt. »Wir hörten, du seiest zurück. Und hast eine normannische Braut mitgebracht.«
    »Ja. Wo ist er, Gytha?«
    »Hengest? Er ist zum Fischen gegangen.«
    »Ohne Angel und mit einem Brotbeutel über der Schulter? Wie eigenartig.«
    Sie schlug die Augen nieder, äußerte sich aber nicht.
    »Sag es mir«, bat er leise. »Es ist nicht Hengest, den ich suche. Ich will kein Unglück in dein Haus bringen. Ich will nur Hereward.«
    Sie zuckte zusammen, als der Name fiel, und ihr Blick wanderte zu den drei kleinen Jungen. »Ich habe dir nichts zu sagen, Cædmon.«
    Er trat einen Schritt näher. »Gytha, sei vernünftig. Früher oder später wird der Sheriff davon Wind bekommen, daß ihr einen Gesetzlosen versteckt, und dann kann nichts und niemand euch retten. Aber noch kann ich euch helfen.«
    Sie wich vor ihm zurück. »Du willst uns helfen? Kein Unglück über mein Haus bringen? Warum kommst du dann her?« fragte sie bitter. »Was, denkst du, werden meine Nachbarn sagen, wenn sie hören, daß ich Hereward an dich ausgeliefert habe? Und was würde Hengest tun? Wenn du mir helfen willst, dann verschwinde!«
    »Das kann ich nicht. Da ich nun einmal davon weiß, muß ich handeln, sonst mache ich mich mitschuldig.«
    Sie schnaubte verächtlich. »Niemand bräuchte je davon zu erfahren,wenn du dich nur entschließen könntest, zu vergessen, was du weißt. Aber du kannst deinen geliebten normannischen König nicht

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