Das zweite Königreich
Fuß hinein, packte die schmächtige Schulter seines Bruders und hangelte sich hoch. Im Nu war er zwischen dem dichten Laub verschwunden; Zweige knackten, ein paar lange Fingerblätter schwebten zu Boden, und dann erschien Ælfrics Kopf bedenklich weit oben in der Krone. »Sie ist schon mehr als halb weg!« brüllte er aufgeregt.
Cædmon sah grinsend zu ihm auf. »Laß sie nicht aus den Augen, jetzt geht es ziemlich schnell!« riet er. Dann blickte er kurz auf Wulfnoth hinab und murmelte: »Ich will nicht wissen, wie dein Wunsch lautet, aber mach ihm klar, daß ich die Einhaltung seines Versprechens überwache. Wenn er versucht, sich zu drücken, sagst du es mir.«
Wulfnoth lächelte ihn an, seine Miene zeigte verschmitzte Schadenfreude und vollkommenen Triumph.
Aliesa fuhr ihm lachend durch die weichen Locken. »Du bist ein kluger kleiner Bursche, Wulfnoth. Ich glaube, Ælfric wird den freien Blick auf die untergehende Sonne noch bereuen.«
»Das glaub’ ich auch.«
Etwa alle zwanzig Herzschläge gab Ælfric den aktuellen Sonnenstand durch, was jedesmal mit Gelächter und ausgelassenem Applaus zur Kenntnis genommen wurde. Dann war es endlich soweit: »Jetzt! Jetzt! Sie geht unter!«
Seaxburhs Mann reichte die brennende Fackel an Onkel Athelstan, der sie einmal feierlich schwenkte und dann in den Holzstapel stieß. Augenblicklich begann es zu züngeln und zu prasseln, und die versammelten Einwohner von Helmsby brachen in lauten Jubel aus.
»Legt mehr Holz auf«, rief Athelstan mit donnernder, metgeölter Stimme. »Laßt die Flammen bis zum Himmel schlagen, auf daß euer Korn bis in den Himmel wachse und niemand in Helmsby Not leiden muß!« Er selbst nahm einen Scheit vom Vorratsstapel und warf ihn ins Feuer, und die jungen Männer, Frauen und auch die Kinder folgten seinem Beispiel. Schnell wie ein Eichhörnchen war Ælfric aus dem Baum geklettert, schwang einen Moment vom unteren Ast, ließ sich fallen und rannte zum Feuer, sein Versprechen vergessend. Wulfnoth folgte ihm langsamer.
Die Alten saßen im Gras einen Steinwurf vom Feuer entfernt und erfreuten sich an Lammbraten, weichem Hühnchenfleisch und Met, die Kinder rannten lachend und schreiend um das Feuer herum und hörten nicht auf die ängstlichen Warnungen ihrer Mütter.
Cædmon und Aliesa verfolgten das frohe Treiben, gingen Arm in Arm von Gruppe zu Gruppe und redeten mit den Leuten, und als das Feuer seinen Höhepunkt überschritten hatte und knisternd begann, in sich zusammenzufallen, raunte Cædmon seiner Frau zu, daß es Zeit sei zu gehen.
Sie willigte ein. »Obwohl ich nichts dagegen gehabt hätte zu sehen, wie du für mich übers Feuer springst«, flüsterte sie. »Ich glaube, das könnte mir gefallen.«
»Aber ich brenne doch so schon für dich«, gab er zurück.
Sie lachte anerkennend. »Sehr schlagfertig«, lobte sie und sah sich auf der dunklen Dorfwiese um. »Wo sind die Kinder?«
»Hyld sammelt sie ein und bringt sie nach Hause.«
Aliesa nickte versonnen. »Ja, ich kann mir vorstellen, daß sie nicht hierbleiben will. Dies ist keine Nacht für die Einsamen.«
»Nein, wirklich nicht«, stimmte er zu, sann einen Moment über das Los seiner Schwester nach, und Aliesa sagte, was er dachte:
»Es kann nicht leicht sein. Nicht nur die Ungewißheit und die Angst. Aber die lange … na ja, Enthaltsamkeit.«
»Ja«, stimmte er seufzend zu. »Wer wüßte das besser als du und ich.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und murmelte: »Wenn du mit dem König in den Krieg ziehst, wird es mir genauso ergehen wie Hyld. Das ist das Los der Frauen.«
Und ich werde in irgendeinem tristen Schlammloch festsitzen und mich fragen, ob du mir treu bist. Das ist das Los der Männer, dachte er, sagte aber nur: »Darüber können wir uns grämen, wenn es soweit ist.« Sie schlenderten über die Wiese und wollten sich unauffällig davonstehlen, als plötzlich ein Schatten vor ihnen aufragte. Cædmon schrak zusammen und legte die Hand an das Heft seines Schwerts. »Wer ist da?«
»Thane, ich … hatte noch keine Gelegenheit, mit Euch zu sprechen.« Es war Ine. Cædmons Augen hatten sich inzwischen auf das Dunkel eingestellt, und er erkannte Gunnild an der Seite ihres Bräutigams. »Wir wollten Euch danken«, murmelte der Stallknecht verlegen.
»Und Euch auch, Lady«, fügte Gunnild hinzu, und nach einem kurzenZögern ergriff sie Aliesas Hand und führte sie kurz an die Lippen. »Gott hat Euch nach Helmsby geschickt.«
Aliesa blinzelte verwirrt, sah
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