Das zweite Königreich
den Kopf etwas näher zu ihm und murmelte: »Warum ist Eure Frau nicht hier?«
»Sie wartet in Euren Gemächern auf Euch, Madame.« Er fand esschwierig, ihrem forschenden Blick standzuhalten, hob ein wenig verschämt die freie Hand und gestand: »Sie fürchtete, irgendwer könnte anläßlich dieser Begrüßung irgend etwas besonders Häßliches zu ihr oder zu mir sagen. Das wollte sie uns allen ersparen. Aber sie kann es kaum erwarten, Euch wiederzusehen.«
»Ist es … schlimm?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte geglaubt, es würde schlimmer.«
Roland Baynard, ein paar andere alte Freunde und auch einige der jungen Damen am Hof schnitten sowohl ihn als auch Aliesa und hatten sich geweigert, an der Tafel mit ihnen zusammenzusitzen. Aber die Prinzen und ihre Ritter, Lanfranc und Odo und die meisten der übrigen Bischöfe und Adligen und ihr Gefolge, die bereits in Winchester eingetroffen waren, verhielten sich, als hätten die Ereignisse des letzten Sommers niemals stattgefunden. Montgomery und einige andere schienen sich gar besondere Mühe zu geben, Cædmon und Aliesa ihre Freundschaft und Unvoreingenommenheit zu beweisen, und so dankbar Cædmon ihnen auch war, fand er ihre Aufmerksamkeit manchmal doch ein bißchen peinlich.
Die Königin ließ die Hand sinken. »Es wird in Vergessenheit geraten, Cædmon. In ein paar Jahren wird niemand mehr daran denken.«
Niemand außer Aliesa und mir, dachte er. »Ja, bestimmt, Madame.« Er verabschiedete sich mit einer galanten Verbeugung und trat zu Prinz Robert, der mit Edgar Ætheling ein paar Schritte abseits stand.
Ehe er irgend etwas sagen konnte, stieß Robert seinem Freund den Ellbogen in die Seite und raunte: »Da kommt Etienne fitz Osberns treuester Freund.«
»Ah!« Edgar sah sich suchend um. »Wo ist die strahlende Witwe?« Cædmon war alles in allem dankbar, daß ihm erspart blieb, die Maske der Höflichkeit aufrechterhalten zu müssen. Er nickte kühl. »Prinz Robert. Mich wundert, Euch in England zu sehen, wo doch all Euer Hoffen und Streben bisher der Normandie galt.«
»Ich gehe dorthin, wo ich den Interessen meines Vaters am besten dienen kann, Thane.«
Cædmon gab sich nicht die geringste Mühe, ein Hohnlächeln zu unterdrücken. »Welch ungewohnte Anwandlung von Pflichtgefühl. Solltet Ihr dabei an Schottland denken, habt Ihr in Prinz Edgar einen wirklich kundigen Berater. Er steht ja bekanntlich auf besonders freundschaftlichem Fuße mit seinem Schwager, König Malcolm.«
Edgar Ætheling machte einen halben Schritt auf ihn zu. »Ihr solltet Euch lieber in acht nehmen, Thane. Rufus’ Stern sinkt. Seine Freundschaft wird Euch nicht mehr lange schützen. Und es war noch nie besonders schwierig, das Vertrauen des Königs in einen seiner Vasallen zu erschüttern.«
»Oder in einen seiner Söhne«, konterte er hitzig, wandte sich ab und ging ohne Gruß davon.
Cædmon war überrascht, den König allein anzutreffen, und blieb unsicher an der Tür stehen. »Bin ich zu früh?«
William wandte sich vom Fenster ab und schüttelte den Kopf. »Nein. Tretet ein, Thane. Bring den Wein und dann verschwinde, Paul«, befahl er dem Diener, der offenbar kurz vor Cædmon hereingekommen war.
Der junge Mann füllte zwei Becher und reichte einen dem König. William rührte ihn nicht an, sondern warf dem Diener einen ungeduldigen, beinah drohenden Blick zu. Hastig führte der den Becher an die Lippen und nahm einen ordentlichen Zug. Dann stellte er den Pokal vor dem König auf den dunkel gebeizten Eichentisch, brachte Cædmon seinen Wein und schlüpfte hinaus.
»Ihr laßt vorkosten, Sire?« fragte Cædmon fassungslos.
William hob beinah verlegen die Hände. »Im Winter war ich krank. Die Ärzte konnten keine Ursache feststellen. Schließlich bestand die Königin darauf, selbst für mich zu kochen, und ich aß nur noch, was sie zubereitet hatte. Von einem Tag zum nächsten ging es mir besser. Vielleicht war es ein Zufall. Vielleicht auch nicht. Es wäre nicht das erste Mal, daß irgendwer versucht, mich zu vergiften.«
»Aber wer könnte so etwas tun?« fragte Cædmon ehrlich entsetzt.
William warf ihm einen Blick zu, als wolle er sagen, stell dich nicht dümmer, als du bist. »An Feinden hat es mir nie gemangelt.«
»Aber wer unter Euren Feinden ist ein so niederträchtiger Feigling? Und es müßte jemand in Eurer unmittelbaren Nähe sein.«
»Ja. Der Verdacht gegen meinen Sohn und Erben Robert drängt sich regelrecht auf, meint Ihr nicht?«
Cædmon
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