Das zweite Königreich
Meinung. »Ich stimme mit Montgomery und meinem Onkel, dem Bischof.«
»Ich auch«, meldete Henry sich schüchtern zu Wort.
Prinz Robert schnaubte verächtlich. »Wie kommt es nur, daß ich nicht überrascht bin …«
Der König bedachte ihn mit einem mißfälligen Stirnrunzeln, schien aber tief in Gedanken versunken. Schließlich hellte seine Miene sich auf, und er sagte: »Da auch Cædmon und der Erzbischof dieser Meinung sind, soll Hereward am Leben bleiben und mir als Gast an meinem Hof willkommen sein. Meinetwegen bekommt er auch ein, zwei seiner Güter zurück.« Mit einem ganz und gar untypischen, beinah leutseligen Lächeln sah er in die teils erfreuten, teils mißbilligenden Gesichter und fügte dann hinzu: »Vorausgesetzt, jeder seiner sechs Fürsprecher ist gewillt, mir Herewards Wergeld zu bezahlen. Was ist er wert? Er ist ein englischer Thane, nicht wahr. Also zwölfhundert Schilling? Runden wir auf. Sagen wir, fünfzig Pfund.«
Betroffenes Schweigen folgte. Schließlich räusperte Odo sich. »Sire, Ihr … wollt uns Herewards Leben verkaufen?«
»In gewisser Weise. Ich muß eine Armee nach Schottland führen, und ich brauche Geld, um sie zu bezahlen. Betrachtet es also als Spende für einen guten Zweck.«
»Trotzdem, ich finde das äußerst bedenklich, Sire«, meldete Lanfranc sich zu Wort.
»Warum?« entgegnete der König ungerührt. »Es ist englisches Recht. Hereward hat sein Leben verwirkt, es sei denn, jemand bezahlt ein Wergeld.«
Das war die hanebüchenste Rechtsverdrehung, die Cædmon je erlebt hatte. Nach englischem Recht mußte ein Mann, der einen anderen verstümmelt oder erschlagen hatte, dessen Familie ein Wergeld zahlen, das je nach Stand festgeschrieben war. Doch richtete sich die Höhe der Summe natürlich nach dem Stand des Geschädigten, nicht dem des Beschuldigten. Und die Summe wurde einmal gezahlt, nicht sechsmal. Fünfzig Pfund war eine gewaltige Stange Geld. Vierhundert Ochsen konnte man dafür kaufen oder zweitausend Schafe oder fünfzig gute Sklaven. Er wußte wirklich nicht, woher er diese Summe nehmen sollte. Nach dem Bau der Kirche hatte er keine solchen Reserven.
»Nun, was ist, Monseigneurs? Auf einmal so still? Hereward leben zu lassen ist ein Opfer für mich – ich muß auf meine Rache verzichten. Es ist nur gerecht, wenn Ihr ebenfalls ein Opfer erbringt«, spöttelte William.
Rufus und Henry wechselten einen Blick und nickten sich zu. »Wir zahlen«, erklärte der Ältere.
»Ich ebenfalls«, schloß Montgomery sich an. Nach kurzem Zögernstimmten auch die beiden Bischöfe zu. Cædmon steckte in der Klemme. Er wollte nicht vor all diesen Männern gestehen, daß er das Geld nicht aufbringen konnte. Irgendwie würde er es zusammenkratzen müssen. Vielleicht könnte ich in Metcombe von Tür zu Tür gehen und sammeln, dachte er grimmig.
Er nickte dem König zu. »Ich zahle auch.«
William lächelte wissend. »Pünktlich, wenn ich bitten darf, Monseigneurs. Gleich nach Michaelis.«
So kam also Hereward der Wächter an den Hof des normannischen Königs. Er wurde bestaunt und begafft und schließlich von den meisten vergessen, denn er führte ein zurückgezogenes Dasein, verkehrte kaum in der Halle und verbrachte den Großteil seiner Tage in der Kapelle. Am Ende seiner langen Wanderung hatte Hereward zu Gott gefunden, und es ging ein Gerücht, er habe William gebeten, in ein Kloster eintreten zu dürfen. Das Gerücht besagte auch, William habe bereitwillig zugestimmt, allerdings nur unter der Bedingung, daß Hereward in das Kloster eintrat, welches der König unweit von Hastings auf dem einstigen Schlachtfeld errichten ließ. Der Altar der Klosterkirche stehe genau an dem Fleck, wo Harold Godwinson gefallen sei, so daß es für Hereward ein Ort der Anbetung im doppelten Sinne sein würde. Leider sei die Anlage noch nicht ganz fertig, ein paar Jahre werde Hereward sich wohl noch gedulden müssen …
Der König widmete seine nach wie vor unerschöpflichen Energien der minutiösen Vorbereitung des Schottlandfeldzuges, rief alle Männer zu den Waffen, die seine Vasallen ihm schuldeten, und warb zusätzlich englische und normannische Söldner an. Cædmon wurde die Ausbildung der englischen Bogen- und Armbrustschützen übertragen, und der König schickte ihn ständig mit Botschaften nach Canterbury und Dover. Nur Ende September entließ er ihn für einige Tage, damit er Herewards »Wergeld« aus Helmsby holen konnte. Aliesa begleitete ihn nach Hause, denn sie
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