Das zweite Königreich
in England will.«
»Ach, halt doch die Klappe, Henry«, fuhr sein Bruder ihm über den Mund.
Cædmon sah von einem Prinzen zum anderen und nickte nachdenklich. »Ich verstehe deine Besorgnis. Robert ist gierig und machthungrig. Aber gräm dich nicht zu sehr. Wenn er weiterhin auf EdgarÆtheling und seine anderen Günstlinge hört, wird es nicht lange dauern, bis er sich wieder mit deinem Vater überwirft.«
»Ja, das gleiche sagt Eadwig auch«, brummte Rufus. »Trotzdem ärgert es mich. Ich habe all meine Kräfte, mein Vermögen, mein ganzes Leben in den Dienst meines Vaters gestellt. Ich habe alles getan, um ihm Richard zu ersetzen. Aber er weiß es überhaupt nicht zu schätzen. Plötzlich gibt es nur noch Robert für ihn.«
»Es ist wie die Geschichte vom verlorenen Sohn«, meinte Henry.
Cædmon gab ihm recht. Zu Rufus sagte er: »Doch, er weiß zu schätzen, was du für ihn tust, ich bin sicher. Er ist nur unfähig, es zu zeigen. Aber er wird es nicht vergessen. Er vergißt nie etwas.«
Rufus warf ihm einen zweifelnden Blick zu, steckte ein Stück Räucherforelle in den Mund und wechselte das Thema. »Was in aller Welt ist in Northumbria passiert?«
Cædmon senkte den Blick, und es war Aliesa, die antwortete: »Walcher ist ermordet worden.«
»Ja, das haben wir gehört«, bemerkte Eadwig.
»Wer ist Walcher?« wollte Henry wissen.
»War«, verbesserte sein Bruder. »Ein Priester, stammte aus Lothringen, soweit ich weiß. Er kam kurz nach der Eroberung an Vaters Hof, etwa zu der Zeit, als du zur Welt kamst. Der König machte ihn zum Bischof von Durham, und Walcher bewies solches Geschick im Umgang mit den störrischen Leuten im Norden, daß er nach Waltheofs Verrat Earl of Northumbria wurde. Aber anscheinend hatte er doch keine so glückliche Hand, wie Vater und Lanfranc dachten.«
»Nein«, stimmte Cædmon zu. »Die Northumbrier sind erbittert über die ständigen schottischen Überfälle und suchten einen Sündenbock. Es gab eine Revolte, und Walcher floh mit seinen Rittern und ein paar Amtsträgern seines Haushaltes in seine Kirche. Die aufgewiegelte Menge steckte die Kirche in Brand. Als Walcher und seine Leute ins Freie flüchteten, wurden sie einer nach dem anderen abgeschlachtet.« »Mein Gott …«, Eadwig rieb sich die Stirn, »diese Northumbrier sind wahrhaftig Barbaren.«
»Ja. Was muß passieren, damit sie endlich Ruhe geben?« brummte Rufus. »Das will ich dir sagen«, erwiderte Cædmon. »Der König von Schottland muß endlich aufhören, sie zu drangsalieren. Wir brauchen einen dauerhaften Frieden mit Schottland. Vielleicht solltest du einfach deine schottische Prinzessin heiraten.«
Rufus verschluckte sich. Als er schließlich aufhörte zu husten und zu röcheln, keuchte er: »Aber sie ist doch erst sieben oder so.«
Cædmon nickte. »Stimmt. Einstweilen hat euer Onkel Odo eine Truppe aufgestellt und ist in Eilmärschen nach Norden gezogen, um die Aufstände niederzuschlagen und die schottischen Truppen zurück über die Grenze zu treiben. Er hat auch die sieben Männer mitgenommen, die Helmsby der Krone stellen muß. Seine Mission war alles in allem erfolgreich, aber von meinen Männern sind nur drei zurückgekommen.«
»Wer wird vermißt?« fragte Eadwig erschrocken.
»Edwin, Gorm, Elfhelm und sein Bruder Odric«, zählte Cædmon bekümmert auf. »Und ich fürchte, ›vermißt‹ ist nicht der richtige Ausdruck. Das alles war im Mai. Odo ist seit über sechs Wochen zurück. Wenn sie noch leben würden, wären sie längst wieder zu Hause.«
Eadwig schlug die Augen nieder und schüttelte den Kopf. All diese Männer waren nach Helmsby gekommen, als Cædmon Thane geworden war. Länger als sein halbes Leben hatte Eadwig sie gekannt. Sie hatten ihn Reiten und den Umgang mit der Streitaxt gelehrt und ihm Geschichten erzählt, hatten alle so gut sie konnten versucht, ihm den toten Vater zu ersetzen und den Bruder, der ständig fort mußte. Eadwig rang sichtlich um Haltung, und Rufus legte ihm leicht die Hand auf die Schulter.
»Wir werden es den verfluchten Schotten zeigen«, murmelte er. »Ich bin sicher, ich kann die Erlaubnis des Königs erwirken, noch dieses Jahr nach Schottland zu ziehen. Und zwar nicht, um Prinzessin Maud den Hof zu machen, so liebreizend sie auch sein mag, sondern um ihren Vater das Fürchten zu lehren.«
Eadwig nickte, aber er schien nur wenig getröstet.
»Wieso glaubst du, dein Vater läßt dich nach Schottland ziehen?« fragte Cædmon neugierig.
»Weil er
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